(K)ein Auskunftsanspruch zur Deckung?
(K)ein Auskunftsanspruch zur Deckung?
Wer als versicherter Manager Schadensersatz leisten muss, erwartet, durch die D&O-Versicherung geschützt zu sein. Diese Erwartung wird oft enttäuscht: Nach jahrelangem Haftungsprozess verweigert der Versicherer plötzlich die Deckung. Hätte er darüber früher aufklären müssen?
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Alicia Verdugo Morales
Die D&O-Versicherung fungiert als unverzichtbares Sicherheitsnetz für Manager, die in ihrer Funktion als Geschäftsführer, Vorstände oder Aufsichtsräte tätig sind. Diese Manager haften bereits bei einfacher Fahrlässigkeit unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen. Um dieses erhebliche Haftungsrisiko zu minimieren, schließen Unternehmen in der Regel eine D&O-Versicherung zugunsten ihrer Manager ab. Der Versicherungsschutz umfasst für den Manager dabei die Abwehr von unbegründeten und die Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen.
Nach herrschender Meinung hat der Versicherer ein Wahlrecht, ob er die Schadensersatzansprüche des Dritten befriedigt oder sich für die Abwehr der Schadensersatzforderungen entscheidet.[1] Dieses Wahlrecht muss der Versicherer im pflichtgemäßen Ermessen ausüben und dabei insbesondere auch die Interessen der versicherten Person berücksichtigen.[2]
Problematisch wird es für den Manager, wenn dieser nicht nur den Haftpflichtprozess verliert und daher zur Zahlung des Schadens verurteilt wird, sondern sich danach auch noch der D&O-Versicherer querstellt und den Versicherungsschutz ablehnt.
Der Manager steht dann vor folgendem Dilemma: Nach rechtskräftiger Verurteilung im Deckungsprozess hat er in der Regel nur 14 Tage Zeit, die Forderung zu erfüllen.[3] Innerhalb dieser Frist ist es der versicherten Person nicht möglich, rechtskräftig feststellen zu lassen, ob die vom Versicherer ausgesprochene Deckungsablehnung berechtigt ist. Die Folge für den versicherten Manager ist im schlimmsten Fall die Privatinsolvenz.
Es stellt sich daher die Frage, ob es dem Manager möglich ist, noch vor Beendigung des Haftpflichtprozesses eine Erklärung des Versicherers zu erhalten, ob dieser auch im Fall der rechtskräftigen Verurteilung Deckungsschutz gewähren würde.
1. Anspruch auf Erklärung des VR über Deckungseinwendungen?
Eine Besonderheit der D&O-Versicherung ist ihre Ausgestaltung als Versicherung für fremde Rechnung, §§ 43 ff. VVG. Eine Versicherung für fremde Rechnung liegt vor, wenn jemand eine Versicherung im eigenen Namen aber zugunsten eines anderen abschließt. Bei der D&O-Versicherung schließt das Unternehmen als Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag ab, Begünstigter der Versicherungsleistung ist jedoch grundsätzlich die versicherte Person.
So bestimmt § 44 Abs. 1 VVG, dass die Rechte aus dem Versicherungsvertrag, also insbesondere die Versicherungsleistung, dem Versicherten zustehen.
Abgesehen von seiner Stellung als Gläubiger hat der Versicherte, sofern nichts anderes festgelegt ist, aber nicht die Rechte eines Vertragspartners. Eigene Ansprüche gegen den Versicherer hat er nur, sofern dies gesetzlich oder im Versicherungsvertrag geregelt ist.
Einen Anspruch des Versicherten auf eine Erklärung des Versicherers über Deckungseinwendungen sieht das VVG nicht vor. Auch D&O-Versicherungsverträge enthalten üblicherweise keine Regelungen dazu.
Ein Anspruch auf Mitteilung von Deckungseinwendungen kann sich daher allenfalls aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere aus dem Gebot von Treu und Glauben ergeben (§ 242 BGB).
Aus § 242 BGB ergibt sich eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung es mit sich bringt, dass der Auskunftssteller in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Auskunftsgeber die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann.[4]
Diese Voraussetzungen dürften im Verhältnis zwischen dem versicherten Manager und dem D&O-Versicherer vorliegen. Der versicherte Manager hat ein berechtigtes Interesse daran, vor einer Verurteilung zu wissen, ob er für den Fall der Verurteilung im Haftpflichtprozess entsprechende Vorkehrungen treffen muss.[5] Insbesondere die weitreichenden Folgen für das Privatvermögen des Managers gebieten es, dass der Versicherer bereits während des Haftpflichtprozesses zu erkennen gibt, welche deckungsrechtlichen Einwendungen der Versicherungsfall mit sich bringt. Aus dem Gebot der Rücksichtnahme[6] folgt der Anspruch der versicherten Person, rechtzeitig über Deckungseinwände informiert zu werden und eine gerichtliche Klärung dieser Einwände herbeizuführen, bevor sie rechtskräftig zur Zahlung der Entschädigungsleistung verurteilt wird.
Berechtigte Interessen des Versicherers, keine Auskunft über mögliche Deckungseinwände zu geben, sind nicht ersichtlich. Insbesondere wird dem Versicherer durch den Auskunftsanspruch auch nicht das Wahlrecht genommen, ob er den geltend gemachten Schadensersatzanspruch abwehrt oder den versicherten Manager von diesem freistellt. Die versicherte Person begehrt lediglich Klarheit, ob der Versicherer auch im Fall einer Verurteilung im Haftpflichtprozess Deckungsschutz in Form der Freistellung gewährt.[7]
2. Prozessuale Durchsetzbarkeit
Ein solcher Anspruch ist nach der deutschen Rechtsprechung jedoch im Klageweg nicht durchsetzbar.
Eine Klage auf Befreiung von der Haftpflichtverbindlichkeit, d.h. also auf Befriedigung des Haftpflichtgläubigers, kommt in der Regel erst dann in Betracht, wenn das Bestehen des Haftpflichtanspruchs rechtskräftig festgestellt ist (vgl. § 106 Abs. 2 VVG).
Vor einem rechtskräftigen Urteil oder einem wirksamen Anerkenntnis zur Haftungsfrage kann der Manager als versicherte Person nur auf Feststellung klagen. Die Feststellung muss in diesen Fällen darauf gerichtet sein, dass der Versicherer wegen einer im Einzelnen genau zu bezeichnenden Haftpflichtforderung „bedingungsgemäßen“ Versicherungsschutz zu gewähren hat.[8]
Hierdurch soll das Wahlrecht des Versicherers gewährleistet werden, ob er eine Abwehrdeckung gewährt oder die versicherte Person von der geltend gemachten Schadensersatzverpflichtung freistellt.[9]
Bietet der D&O-Versicherer Abwehr für als unberechtigt eingestufte Ersatzansprüche an, hat er seine Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag nach Ansicht der deutschen Rechtsprechung zunächst erfüllt.[10] Eine Klage gerichtet auf Feststellung, dass der der versicherten Person zustehende Versicherungsschutz auch für einen im laufenden Haftpflichtprozess anhängigen Schadensersatzanspruch besteht (Befreiungsanspruch), ist nach deutscher Rechtsprechung gemäß § 256 Abs. 1 ZPO wegen mangelndem Feststellungsinteresse unzulässig.[11] Solange der Haftpflichtprozess noch läuft und eine Schadensersatzverpflichtung der versicherten Person noch nicht feststeht, besteht für eine vorweggenommene Prüfung von Versagungsgründen des Versicherers nach der Rechtsprechung keine Notwendigkeit.
Der österreichische Gerichtshof (OGH) zeigt, dass auch abweichende Ansichten zur deutschen Rechtsprechung berechtigt sein können.
Nach der Rechtsprechung des OGH kann der Versicherungsnehmer einer Haftpflichtversicherung auch vor rechtskräftiger Entscheidung über den Anspruch des geschädigten Dritten auf Feststellung klagen, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihn zu entschädigen, wenn dieser bestreitet, zur Gewährung des Versicherungsschutzes verpflichtet zu sein.[12]
Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des OGH, anders als in Deutschland, im Verfahren zur Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers grundsätzlich darüber zu entscheiden, ob ein Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers überhaupt gegeben ist oder infolge des Eingreifens von Ausschlussgründen oder einer Verjährung des Haftpflichtanspruchs nicht (mehr) besteht.[13] Erst wenn sich im Zuge dieses Verfahrens herausstellt, dass der Versicherungsschutz des Versicherungsnehmers unter keinen Umständen besteht, ist die Klage wegen mangelndem Feststellungsinteresse abzuweisen.
Daran ändert sich nach Ansicht des OGH auch nichts, wenn der Versicherer Abwehrdeckung angeboten hat. Der Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung ist ein einheitlicher Anspruch, sodass der Befreiungsanspruch bei Gewährung von Abwehrdeckung weiterhin besteht. Der Versicherungsnehmer hat ein berechtigtes Interesse daran, schon vor dem Ausgang des Haftpflichtprozesses zu wissen, ob er den entstandenen Schaden selbst zahlen muss.
Das Wahlrecht des Versicherers, welches das Hauptargument des BGH zur Verneinung einer solchen Klagemöglichkeit darstellt, ist in dieser Konstellation nicht gefährdet. Dem Versicherer wird nicht sein Wahlrecht hinsichtlich der Abwehr oder der Freistellung von der Schadenersatzforderung genommen. Die versicherte Person begehrt lediglich Klarheit, ob der Versicherer auch im Fall einer Verurteilung im Haftpflichtprozess Deckungsschutz in Form der Freistellung gewährt.[14]
Dem ist zuzustimmen. Der versicherte Manager hat ein berechtigtes Interesse daran, vor Verurteilung zu wissen, ob er für den Fall einer Verurteilung im Haftpflichtprozess entsprechende Vorkehrungen treffen muss.[15] Aus dem Rücksichtnahmegebot des Versicherungsvertrags folgt der Anspruch der versicherten Person, rechtzeitig über Deckungseinwände informiert zu werden und eine gerichtliche Klärung dieser Einwände herbeizuführen, bevor sie rechtskräftig zur Zahlung der Entschädigungsleistung verurteilt wird.
3. Ausblick
Nach Treu und Glauben müssen D&O-Versicherer den versicherten Personen schon während des Haftpflichtprozesses auf Rückfrage hin mitteilen, ob sie Einwendungen gegen eine Freistellung der versicherten Person haben, falls dieser zu Schadensersatz verurteilt werden sollte.
Versicherte Manager sollten im Versicherungsfall diese Auskunft von ihren D&O-Versicherern verlangen, auch wenn unklar ist, ob Versicherer diesem Verlangen nachkommen und obwohl die Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs – zumindest in Deutschland – geringe Erfolgsaussichten vor Gericht haben dürfte.
D&O-Versicherer, die sich vom Marktdurchschnitt abheben möchten, könnten einen umfassenden Auskunftsanspruch für die versicherten Personen in ihre Versicherungsbedingungen aufnehmen. Ein solcher Anspruch könnte dann sowohl die Auskunft zu Deckungseinwendungen als auch die Auskunft über die Höhe der noch verbleibenden Versicherungssumme umfassen – und so die notwendige Transparenz und Fairness zwischen versicherten Managern und Versicherern herstellen
Autorin: Alicia Vedugo Morales
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis 03-2025, S. 28 ff.
Rechtsprechung und Literatur:
[1] BGH, Urteil vom 26. März 2014, Az.: IV ZR 422/12, NJW 2014 2038, 2039; BGH, Urteil vom 20. November 1980, Az.: IVa ZR 25/80, VersR 1981, 180; BGH, Urteil vom 20. Februar 1956 Az.: II ZR 53/55, NJW 1956, 826, 827.
[2] BGH, Urteil vom 20. November 1980, Az.: IVa ZR 25/80, VersR 1981, 180.
[3] Vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2003, Az.: IXa ZB 146/03, NJW-RR 2003, 1581, 1582.
[4] BGH, Urteil vom 28. Oktober 1953, Az.: ZR 149/52 NJW 1954, 70; BGH, Urteil vom 06. Februar 1962, Az.: ZR 193/61, NJW 1962, 731; BGH, Urteil vom 20. Januar 1971 Az.: ZR 251/69, NJW 1971, 656;
[5] Fortmann in Herdter D&O AVB, Ziffer A-6.1, Rn. 11.
[6] vgl.Finkel/Seitz in Seitz/Finkel/Klimke D&O-Versicherung, Ziff. 4 Rn. 187.
[7] Fortmann in Herdter D&O AVB, Ziffer A-6.1, Rn. 11.
[8] BGH, Urteil vom 4. Dezember 1980, Az. IVa ZR 32/80; OLG Naumburg Urteil vom 25. Juli 2013 Az.: 2 U 23/13; OLG Köln, Urteil vom 27. September 2016, Az.: 9 U 26/16.
[9] aaO.
[10] OLG Karlsruhe Urteil vom 25. Juni 1992 Az. 12 U 7/92; OLG Köln Urteil vom 6. September 2016 Az. 9 U 29/16.
[11] OLG Köln, Urteil vom 27. September 2016, Az.: 9 U 26/16.
[12] OGH, Urteil vom 21. März 2018, Az.: 7 Ob 14/18 m, VersR 2019, 125, 128.
[13] OGH, Urteil vom 21. März 2018, Az.: 7 Ob 14/18 m, VersR 2019, 125, 128; OGH, Urteil vom 14. Juli 1993, Az.: 7 Ob 12/93, VersR 1994, 582.
[14] Fortmann in Herdter D&O AVB, Ziffer A-6.1, Rn. 11.
[15] aaO.
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