D&O-Ansprüche abtreten lassen: Optionen und Handlungsempfehlungen

Die Regulierung von Versicherungsfällen in der Managerhaftpflicht ist komplex und langwierig: Zunächst muss das geschädigte Unternehmen den versicherten Manager in Regress nehmen. Die dann folgende gerichtliche Klärung der Haftungsfrage dauert meist Jahre, belastet alle Beteiligten und verschlingt oft einen Großteil der D&O-Versicherungssumme.

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Steht die Haftung des Managers fest, so muss dieser oder das geschädigte Unternehmen oft noch einen zweiten Rechtsstreit führen. Denn D&O-Versicherer kehren die Freistellung selten anstandslos aus. Zahlen aus Maklerkreisen zeigen, dass in mindestens vier von fünf Versicherungsfällen vom Versicherer der Einwand der wissentlichen Pflichtverletzung erhoben wird. Diesen Einwand zu entkräften, kostet erneut Zeit und Geld. Bis der Schaden reguliert ist, vergehen so oft fünf bis zehn Jahre.

Hintergrund und Grundlagen der Abtretung

Es ist daher nicht verwunderlich, dass geschädigte Unternehmen den Weg zur Schadenregulierung abkürzen wollen. In der Abtretung des Freistellungsanspruchs haben sie diesen Weg gefunden. Der mutmaßlich für den Schaden verantwortliche Manager tritt seinen Versicherungsanspruch (genauer gesagt: den Freistellungsanspruch) an das Unternehmen ab. Der abgetretene Anspruch wandelt sich damit in einen versicherungsrechtlichen Zahlungsanspruch, mit dem sich das Unternehmen direkt an den D&O-Versicherer wenden kann (sogenannte „direkte Inanspruchnahme“). Der Vorteil liegt auf der Hand: Das Unternehmen kann den Zwischenschritt des aufreibenden Haftungsstreits im „Innenverhältnis“ mit dem Manager überspringen. Die Haftungs- und die Deckungsfrage werden in einem Verfahren geklärt. 

Doch wie vereinbaren das Unternehmen und der Manager wirksam und rechtssicher die Abtretung der D&O-Ansprüche? Die Möglichkeiten sowie ihre Vor- und Nachteile skizzieren wir nachfolgend.

Wege der Abtretung

Die Abtretung des Freistellungsanspruchs der versicherten Person an das geschädigte Unternehmen als Versicherungsnehmer erfordert stets das Einvernehmen beider Parteien über die Art der Abtretung und ihre Rechtsfolgen. Beides gilt es in einer schriftlichen Abtretungsvereinbarung festzuhalten.

Die Abtretung kann im Wesentlichen entweder erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt erfolgen. Die Unterschiede liegen hier im Detail und können bedeutsam sein.

Abtretung an geschädigten Versicherungsnehmer grundsätzlich zulässig

Trotz weiterhin vorgebrachter Bedenken steht fest: Die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Versicherungsnehmer ist zulässig. Der Versicherer kann die Abtretung nicht wirksam untersagen. Dies stellte der BGH auf unser Betreiben hin bereits 2016 klar (BGH, Urteile v. 13. April 2016 – IV ZR 304/13 und IV ZR 51/14). Die geschädigte Gesellschaft ist – trotz ihrer gleichzeitigen Position als Versicherungsnehmerin – „Dritte“ im Sinne von § 108 Abs. 2 VVG.

Allein aus der Abtretung lässt sich zudem nicht auf ein kollusives Zusammenwirken von Manager und Gesellschaft schließen. Im Falle einer Anspruchsabtretung muss damit der geschädigte Versicherungsnehmer nicht darlegen, dass die Inanspruchnahme des Managers „ernstlich“ erfolge.

Abtretung erfüllungshalber 

Die Abtretung erfüllungshalber ist (bislang) der Regelfall. „Erfüllungshalber“ bedeutet, das geschädigte Unternehmen erhält die Gelegenheit, sich zunächst am D&O-Versicherer schadlos zu halten. Der Haftungsanspruch gegen den versicherten Manager erlischt währenddessen nicht. Aber das Unternehmen verpflichtet sich, für die Dauer der direkten Inanspruchnahme nicht gegen den Manager vorzugehen (sogenanntes pactum de non petendo). Nur und erst wenn die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers fehlschlägt, kann das Unternehmen erneut gegen den Manager vorgehen. Kompensiert der D&O-Versicherer den Schaden hingegen, so erlischt auch der Haftungsanspruch des Unternehmens gegen den Manager in entsprechender Höhe.

  1. Zulässigkeit

Gesellschaftsrechtlich ist die Abtretung erfüllungshalber sowohl bei der GmbH als auch bei der Aktiengesellschaft zulässig. Insbesondere verstößt eine Abtretung erfüllungshalber nicht gegen das aktienrechtlich zwingende Vergleichs- und Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG (Harzenetter, NZG 2016, 728, 731).

  1. Vorteile

Da der Haftungsanspruch gegen den Manager nur dann erlischt, wenn das Unternehmen vom D&O-Versicherer eine Zahlung erhält, ist die Abtretung erfüllungshalber für das Unternehmen (und dessen aktuelles Management) vorteilhaft. Es profitiert von der Beschleunigung der Schadenregulierung.

Des Weiteren gewinnt so das Unternehmen den in Anspruch genommenen Manager als Zeugen, auch wenn der Manager weiterhin als Organ des Unternehmens tätig ist.

  1. Nachteile

Für den in Anspruch genommenen Entscheidungsträger ist die Abtretung erfüllungshalber ein zweischneidiges Schwert: Zwar bleibt er zunächst von einem zermürbenden Haftungsprozess verschont. Doch hat er keine Gewähr, dass das Unternehmen nicht zukünftig doch gegen ihn vorgeht – und er dann ggf. ohne D&O-Versicherungsschutz dasteht. Ein Manager, der erkennt, dass das Verwertungsrisiko des abgetretenen Anspruchs bei ihm verbleibt, obwohl er selbst keinen (oder kaum) Einfluss auf die Anspruchsdurchsetzung mehr nehmen kann, könnte im Gegenzug Zugeständnisse des Unternehmens in anderen Bereichen fordern.

Abtretung an Erfüllungs statt

Bei der Abtretung „an Erfüllungs statt“ erlischt der Haftungsanspruch des Unternehmens gegen das Organmitglied mit der Abtretung. Der Manager ist mit der Abtretung an Erfüllung statt endgültig aus der Haftung befreit. Dem Unternehmen bleibt die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers ohne spätere Rückgriffmöglichkeit beim Manager. 

  1. Zulässigkeit

Versicherungsrechtlich war bislang umstritten, ob eine Abtretung an Erfüllungs statt zum Zweck der direkten Inanspruchnahme des D&O-Versicherers möglich ist. Insbesondere Vertreter der Versicherungswirtschaft argumentierten, dass mit dem Erlöschen des Haftungsanspruchs auch der versicherungsrechtliche Direktanspruch untergehe. Getreu dem Motto „Deckung folgt Haftung“ könne also kein Versicherungsschutz mehr bestehen, wenn keine Haftung mehr drohe. 

Das OLG Köln stellte in einem von uns geführten Verfahren nun klar (OLG Köln, Urteil v. 21. November 2023 – 9 U 206/22 = r+s 2024, 27, Rn. 50), dass schon aus § 105 VVG folgt: der Versicherer darf nicht leistungsfrei werden, wenn die versicherte Person den Haftungsanspruch durch eine Abtretung an Erfüllungs statt zum Erlöschen bringt. Das OLG Köln argumentiert sinngemäß, dass, wenn schon bei einem Anerkenntnis des Anspruchs oder einer vollständigen Befriedigung des Dritten durch den Geschädigten der Haftungsanspruch nicht erlösche (so die Wertung des § 105 VVG), dies doch erst recht bei einem Erlöschendes Haftungsanspruchs durch eine Abtretung an Erfüllungs statt gelten müsse. Die Erfüllung des Haftungsanspruchs durch den Manager führt somit allein zu einem durchsetzbaren Zahlungsanspruch gegen den D&O-Versicherer. 

Gesellschaftsrechtlich ist die Abtretung an Erfüllungs statt bei der GmbH zulässig. Bei der AG verstößt eine Abtretung vor Ablauf der Dreijahresfrist gegen das Vergleichs- und Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG und ist damit unwirksam. Selbst nach Ablauf der drei Jahre muss die Hauptversammlung gem. § 93 Abs. 4 S. 3 AktG der Abtretung an Erfüllungs statt zustimmen. 

  1. Vorteile

Die Abtretung an Erfüllungs statt ist vor allem für den abtretenden Geschäftsführer einer GmbH vorteilhaft, da mit der Abtretung keine persönlich zu leistende Schadensersatzzahlung mehr droht. Das kann die Bereitschaft des Managers zur Anspruchsabtretung erhöhen (oder überhaupt erst schaffen) und so für beide Parteien einen Weg zur Konfliktlösung aufzeigen.

Die Abtretung an Erfüllungs statt erlaubt dem geschädigten Unternehmen eine abschließende und unternehmensintern befriedende Schadensregulierung. Des Weiteren ermöglicht die Abtretung an Erfüllungs statt auch faktisch die Weiterbeschäftigung des Managers im Unternehmen. Selten ist es im Unternehmensinteresse, einen über Jahre verdienten Manager wegen einer fahrlässigen Pflichtverletzung mit einem persönlich belastenden Haftungsprozess zu überziehen.

  1. Nachteile

Das Unternehmen gibt die persönliche Inanspruchnahme des versicherten Organmitglieds mit der Abtretung an Erfüllungs statt auf. Scheitert die Direktklage gegen den D&O-Versicherer, kann sich das Unternehmen grundsätzlich nicht erneut an den Manager wenden, um den Schaden doch noch ersetzt zu bekommen. 

Das ist für das Unternehmen allerdings nur insofern nachteilig, soweit vom Manager (dann ohne D&O-Schutz) aus dessen persönlichem Vermögen überhaupt eine signifikante (anteilige) Schadenkompensation zu erreichen wäre. 

Jedoch kann es die Erfolgsaussichten der Direktklage gegen den Versicherer schmälern, wenn der aus der Haftung entlassene Geschäftsführer kein Interesse mehr an dem weiteren Verfahrensverlauf hat. Schließlich wird er in der Regel als Zeuge geladen werden und nimmt daher weiter Einfluss auf den Verfahrensausgang. 

Ergänzende Vereinbarungen

Je nach gewähltem Weg der Abtretung sollten geschädigtes Unternehmen und Manager ergänzende Vereinbarungen aufnehmen.

Ergänzungen zur Abtretung erfüllungshalber

Um die Chancen der direkten Inanspruchnahme optimal zu nutzen, sollten geschädigtes Unternehmen und Manager in der Abtretungsvereinbarung u.a. die Bindungswirkung des Direktprozesses, die Verjährung des Haftungsanspruchs und die Kostentragung der direkten Inanspruchnahme regeln (ausführlich hierzu: Ulrich,  r+s 2022, 608.).

  1. Bindungswirkung

Die Abtretung erfüllungshalber führt grundsätzlich nur dann zu einer endgültigen Abwicklung, wenn der Versicherer den Direktanspruch in Höhe des Haftungsanspruchs erfüllt. Ist die direkte Inanspruchnahme nicht oder nur teilweise erfolgreich, wird das Unternehmen den Haftungsanspruch gegen den Manager durchsetzen (müssen). Die mit der Abtretung bezweckte Effizienzsteigerung wäre in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die zuvor im Direktprozess geklärten Fragen erneut im Haftungsprozess verhandelt werden müssten. 

Die Versicherer haben es zwar in der Hand, durch antizipierende vertragliche Regelungen der direkten Inanspruchnahme im D&O-Versicherungsvertrag und eine darauf aufbauende negative Zwischenfeststellungsklage eine abschließende Abwicklung im Direktprozess zu ermöglichen. Solange jedoch die Versicherer diese Möglichkeit (noch) verstreichen lassen, müssen das Unternehmen und der Manager Regelungen treffen.

Unternehmen und Manager sollten in der Abtretungsvereinbarung vereinbaren, dass ein Misserfolg der direkten Inanspruchnahme mangels Haftung auch in ihrem Verhältnis greift. Nur so wird der Manager davor geschützt, dass das Unternehmen zwei Versuche (einmal im Direktprozess gegen den Versicherer und anschließend im Haftungsprozess gegen den Manager) erhält, die Haftung zu begründen. Des Weiteren sollte zugunsten des Unternehmens vereinbart sein, dass auch die im Direktprozess getroffene Feststellung der Haftung dem Grunde nach den Manager bei einer anschließenden Inanspruchnahme bindet.

  1. Verjährung

Das in der Abtretung enthaltene pactum de non petendo führt zu einer Verjährungshemmung des Haftungsanspruchs während der direkten Inanspruchnahme des Versicherers. Dies bestätigte auch das OLG Schleswig (OLG Schleswig, Urteil vom 26. Februar 2024 – 16 U 93/23). Um jedoch bis zu einer endgültigen Klarstellung des BGH unnötige Diskussionen zur Verjährungswirkung einer Abtretung erfüllungshalber auszuschließen, sollten die Parteien in der Abtretungsvereinbarung ausdrücklich regeln, dass die Verjährung des Haftungsanspruchs nach § 205 BGB während der direkten Inanspruchnahme des Versicherers gehemmt ist.

  1. Kosten

Scheitert die direkte Inanspruchnahme könnte das Unternehmen versuchen, die Kosten der direkten Inanspruchnahme beim Manager einzutreiben. Auch wenn ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB analog mangels Interessengleichlauf von Manager und Unternehmen ausscheiden dürfte, sollte der Manager das Drohpotential nicht unterschätzen. Der Manager sollte daher darauf drängen, dass die Abtretungsvereinbarung klarstellt: das Unternehmen trägt die Kosten der direkten Inanspruchnahme. 

Ergänzungen zur Abtretung an Erfüllungs statt

Vereinbaren die Parteien eine Abtretung an Erfüllungs statt, spielt die Bindungswirkung und die Verjährungshemmung des Haftungsanspruchs keine größere Rolle. Da es hier keinen nachgelagerten Haftungsprozess gegen den Manager geben kann, muss die Bindung der Feststellungen des Direktprozesses Unternehmen gegen Versicherer nicht geregelt werden. Das Verjährungsthema spielt ebenfalls keine Rolle, da der Manager den Haftungsanspruch durch die Abtretung an Erfüllungs statt erfüllt. Folglich muss das Unternehmen bis zur Abtretung die Verjährung des Haftungsanspruchs und des Versichersicherungsanspruchs verhindern. Nach einer Abtretung sind allein die versicherungsrechtlichen Verjährungsfristen zu beachten.

Allerdings sollte das Unternehmen bei einer Abtretung an Erfüllungs statt sicherstellen, dass der Manager bei einem Misserfolg der direkten Inanspruchnahme des Versicherers nicht uneingeschränkt leistungsfrei bleibt. Immer dann, wenn der Misserfolg der direkten Inanspruchnahme auf einem vom Manager verwirklichten Risikoausschluss (insb. einer wissentlichen Pflichtverletzung) oder einer vom Manager begangenen Obliegenheitsverletzung beruht, sollte die Abtretungsvereinbarung eine Haftung des Managers vorsehen.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Abtretung des D&O-Freistellungsanspruchs stellt für Unternehmen und Manager eine interessante und zeitgemäße Option zur Streitbeilegung und Verfahrensbeschleunigung in der D&O-Schadenregulierung dar. Die Abtretung könnte u.a. dazu führen, dass die verfügbaren Kapazitäten in der D&O-Versicherung überwiegend die Schäden kompensieren und weniger für die Anspruchsabwehr  genutzt werden. 

Die rechtlichen und technischen Details der Abtretung sollten die Parteien jedoch im Vorfeld sauber miteinander abstimmen. 

Welcher Weg der Anspruchsabtretung im Einzelfall zu empfehlen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Neben den grundsätzlichen rechtlichen Rahmenbedingungen (insbesondere die Rechtsform der Gesellschaft) spielen auch situationsabhängige Erwägungen eine Rolle: Wie ist das Verhältnis zwischen dem in Anspruch genommenen Manager und den gegenwärtigen Vertretern der Gesellschaft? Wird eine Weiterbeschäftigung und friedliche Beilegung des Haftungsfalls angestrebt oder hat letztlich doch die vollständige Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen Priorität? Wie ist die Gesprächsbereitschaft auf Seiten des in Anspruch genommenen Managers und seiner Rechtsberater? Nicht selten raten Anwälte des Managers von einer Anspruchsabtretung ohne genauere Prüfung der Vor- und Nachteile ab. Denn mit der Anspruchsabtretung ist häufig für den Verteidiger-Anwalt des Managers ein lukratives Mandat vorschnell beendet. 

Aber auch die Frage, ob neben der Schadensersatzforderung andere Forderungen, etwa nach einer Abfindung, offenen Boni oder Gehaltsfortzahlungen, zwischen den Parteien ungeklärt sind, kann eine Rolle spielen. Die sorgsame Abwägung all dieser Aspekte und der konstruktive Austausch am runden Tisch sind deshalb für das Unternehmen und den betroffenen Manager unabdingbar, um eine für beide Seiten vorteilhafte Abtretung von D&O-Ansprüchen zu erzielen.

 

Autoren: Dr. Fabian Herdter, Dr. David Ulrich

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 05/2024, S. 29ff.

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