Greenwashing als Haftungsrisiko der Entscheidungsträger

Dass sogenanntes „Greenwashing“ ernsthafte Konsequenzen haben kann, ist mittlerweile in den meisten Unternehmen angekommen. Wer Produkte aus Marketinggründen als „nachhaltig“, „klimaneutral“ oder „umweltverträglich“ kennzeichnet, ohne belastbare Nachweise bereitzustellen, handelt wettbewerbswidrig. Vielen Managern dürfte jedoch nicht bewusst sein, dass auch ihnen persönlich große Haftungsrisiken drohen.

Greenwashing: Aktuelle Entwicklungen

Rechtsprechung und Gesetzgebung nehmen seit einiger Zeit das Problem des Greenwashings vermehrt in den Blick. So hat die EU-Kommission im März 2023 einen Vorschlag für eine „Green Claims“-Richtlinie veröffentlicht (EU-Kommission, Richtlinienvorschlag (Richtlinie über Umweltaussagen) COM (2023) 166 vom 22. März 2023). Ziel ist es, der „Grünfärberei und Irreführung der Verbraucher durch falsche umweltbezogene Werbeaussagen […] Einhalt zu gebieten”. Dabei bezieht sich der Vorschlag der EU-Kommission auf alle Umweltaussagen, hebt aber insbesondere solche Umweltaussagen hervor, in welchen Unternehmen ihre Produkte als z.B. „klimaneutral“, „CO2-neutral“ oder „100 % CO2-kompensiert“ anpreisen. 

Greenwashing-Werbeaussagen beschäftigen aber bereits heute die deutschen Gerichte immer häufiger. Zuletzt etwa untersagte das LG Karlsruhe der Drogeriekette dm, bestimmte Produkte ihrer Eigenmarken nicht als “umweltneutral” oder “klimaneutral” zu bewerben (LG Karlsruhe Urt. v. 26.07.2023, Az. 13 O 46/22 KfH, vgl. auch z.B. LG Stuttgart, Urt. v. 10.1.2022 – 36 O 92/21 KfH; OLG Hamm, Urteil vom 19. August 2021 – I-4U 57/21; LG Köln, Urteil vom 07. August 2019 – 84 O 24/19)

Im deutschen Recht spielen sich solche Rechtsstreitigkeiten bislang vornehmlich im Wettbewerbsrecht ab. Dabei reichen die Sanktionsfolgen des UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) von Unterlassung über Beseitigung (§ 8 UWG) bis hin zur Haftung auf Schadenersatz (§ 9 UWG).

Hier sind die Haftungsrisiken für Unternehmen durch gesetzliche Neuregelungen unlängst gestiegen. So sieht das das UWG seit Mai 2022 einen direkten Schadenersatzanspruch für Verbraucher vor, wenn sie durch irreführende Handlung zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden, die sie andernfalls nicht getroffen hätten (§ 9 Abs. 2 UWG). Vormals konnten nur Wettbewerber und bestimmte Vereine und Verbände nach dem UWG gegen unlauter handelnde Unternehmen vorgehen. Insbesondere in Verbindung mit den neuen Instrumenten der Musterfeststellungsklage und der Verbandsklage erhält § 9 Abs. 2 UWG besondere Brisanz: Künftig können sich Verbrauchergruppen gegen Unternehmen zusammenschließen, von denen sie sich mutmaßlich durch Greenwashing getäuscht sehen (dazu mehr unter 3.).

Bei alledem stehen insbesondere die hinter dem Unternehmen stehenden Geschäftsleiter in der Verantwortung, sicherzustellen, dass ihre Unternehmen keine irreführende Umweltwerbung betreiben. Doch inwieweit trifft die Manager auch ein individuelles Haftungsrisiko?

Innenhaftung 

Eine persönliche Haftung der Geschäftsleiter gegenüber dem eigenen Unternehmen für Schäden, die dem Unternehmen durch Greenwashing-Kampagnen entstehen, kommt auf der Basis von § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG in Betracht.

Demgemäß muss der Geschäftsleiter in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anwenden. Die aus dieser Sorgfaltspflicht abgeleitete Legalitätspflicht gebietet es dem Unternehmensleiter zum einen sich selbst gesetzestreu zu verhalten und für eine interne Organisationsstruktur der Gesellschaft zu sorgen, die die Rechtmäßigkeit ihres Handelns gewährleistet. 

Es ist Aufgabe der Geschäftsführung, ein Compliance-System zu schaffen, das Gesetzesverstöße verhindert. Ändern sich die gesetzlichen Anforderungen sind die Compliance-Strukturen in den Unternehmen an die neuen Anforderungen anzupassen. Zu den erforderlichen Maßnahmen dürften im Hinblick auf Wettbewerbsverstöße regemäßige Schulungen der zuständigen Mitarbeiter oder auch ein für externe geöffnetes Hinweisgebersystem sein, um ein frühzeitiges Einschreiten zu ermöglichen. 

Unterlässt der Geschäftsführer adäquate Maßnahmen zur Einhaltung der Gesetze innerhalb des Unternehmens, haftet er gegenüber der Gesellschaft für den aus seiner Pflichtverletzung entstandenen Schaden. Zu möglichen Schäden, die einem Unternehmen bei Aufdeckung von Greenwashing drohen, gehören insbesondere Reputationsschäden, die zu Umsatzrückgängen und folglich finanziellen Verlusten führen können. Des Weiteren können dem Unternehmen Kosten für die Abwehr von Unterlassungsklagen seitens der Wettbewerber oder für die Erfüllung von Rückabwicklungs- und Schadensersatzansprüchen enttäuschter Vertragspartner entstehen. Diese Schäden stellen finanzielle Belastungen dar, für die das Unternehmen von seinen Führungskräften Ersatz verlangen kann.

Außenhaftung gegenüber Dritten 

Gerade im Wettbewerbsrecht beschäftigt Geschäftsführerhaftung den BGH seit Jahren. Für Wettbewerber (und nun auch für Verbraucher) ist die Frage eines weiteren Schuldners von immenser Bedeutung. Gerade im Hinblick auf das Insolvenzrisiko des Unternehmens ist ein weiterer Schuldner stets von Vorteil.

Nach § 9 Abs. 1 UWG haftet derjenige gegenüber seinen Mitbewerbern auf Schadenersatz, der eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Nach § 9 Abs. 2 UWG kommt, wie bereits angesprochen, auch ein Anspruch auf Schadenersatz der unmittelbar geschädigten Verbraucher in Betracht, wenn diese durch das wettbewerbswidrige Verhalten zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst worden sind. 

Schuldner des Schadensersatzanspruchs ist nach § 9 UWG jeder, der vorsätzlich eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, also ggf. auch der Geschäftsführer selbst.

Dabei haben sich die rechtlichen Anforderungen an das Handeln des Geschäftsleiters stark gewandelt. Reichte früher bereits die bloße Kenntnis des Geschäftsleiters für eine persönliche Haftung gegenüber Dritten (BGH, Urteil vom 26. September 1985, Az. I ZR 86/83 – Sporthosen.), haftet der Geschäftsleiter heute nur persönlich, wenn er entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er die Wettbewerbsverstöße aufgrund eine einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen (BGH, Urteil vom 18.6.2014 – I ZR 242/12 = BeckRS 2014, 14705).

Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers kommt nach dem BGH in Betracht, wenn der Wettbewerbsverstoß auf einem Verhalten beruht, das nach seinem äußeren Erscheinungsbild und mangels abweichender Feststellungen dem Geschäftsführer anzulasten ist (BGH, Urt. v. 27.4.2017 – I ZR 55/16). Nach Ansicht des BGH zählen zu den Maßnahmen über die typischerweise auf Geschäftsführungsebene entschieden wird, etwa das allgemeine Konzept der Kundenwerbung eines Unternehmens, der Inhalt einer Presseerklärung eines Unternehmens, in der der Geschäftsführer selbst zu Wort kommt oder der allgemeine Internetauftritt eines Unternehmens. 

Beispiel 1: Ein Unternehmen, das Körperpflegeprodukte herstellt, bringt ein neues Duschgel auf den Markt. In der den Verkaufsstart begleitenden Pressemitteilung wird der Geschäftsführer mit den Worten zitiert, alle natürlichen Inhaltsstoffe des Duschgels seien gemäß der neuen Unternehmensstrategie „nachhaltig“ produziert. Nachdem eine NGO Missstände in der Rohstoffproduktion mehrerer Lieferanten des Unternehmens aufdeckt, verklagen Kunden das Unternehmen und den Geschäftsführer persönlich auf Schadensersatz, da sie von falschen Aussagen zum Kauf verleitet worden seien.

Auch, wenn die vormals sehr weite Außenhaftung des Geschäftsführers mittlerweile durch den BGH verengt worden ist, kann eine Haftung des Geschäftsleiters gerade im Bereich der Anpreisung von Produkten oder Produktionsprozessen als „klimaneutral“ oder irreführender Werbung auf der Website des Unternehmens in Betracht kommen. 

Beispiel 2: Auf der Website eines Getränkeherstellers ist ein Video zu sehen, in dem der Geschäftsführer im Rahmen einer Werksführung die Produktionsanlagen präsentiert. Dank neuester, CO2-einsparender Technologie und begleitender Maßnahmen sei die Limonade-Produktion an diesem Standort „mittlerweile quasi klimaneutral“. Ein Umweltverband verklagt in der Folge sowohl den Hersteller als auch den Geschäftsführer persönlich wegen irreführender Werbung.

Eine Veranlassung durch eigenes aktives Tun liegt bereits dann vor, wenn der Geschäftsführer die wettbewerbswidrige Handlung mittelbar durch einen Dritten begeht, also etwa nachgeordnete Mitarbeiter anweist oder unternehmensfremde Dritte beauftragt. Der Geschäftsführer muss daher auch für unlautere Werbemaßnahmen geradestehen. 

Beispiel 3: Ein mittelständischer E-Bike-Hersteller hat einen Umbau der Produktion sowie eine Revision der Zuliefererbeziehungen beschlossen, um – auch unter dem Eindruck des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes – die gesamte Wertschöpfungskette sozial- und umweltverträglicher zu gestalten. Die Maßnahmen befinden sich noch in der Umsetzung und für einzelne Produktkomponenten (u.a. für den bisher verbauten Lithium-Ionen-Akku) ist noch keine zufriedenstellende nachhaltige Alternative gefunden. Dennoch möchte die Geschäftsführerin nicht länger mit der geplanten Marketing-Kampagne warten und weist in einem Meeting der Marketing-Abteilung mit der Werbeagentur die Anwesenden an, die neuen E-Bikes mit dem Claim „Höchste Standards entlang der gesamten Lieferkette“ zu bewerben. Neben Umweltverbänden ruft die Werbeaktion auch das BAFA auf den Plan, das nun die Lieferketten des Unternehmens genau in den Blick nimmt und verlangt, dass das E-Bike bis zur Aufklärung möglicher Unzulänglichkeiten vom Markt genommen wird. Das Unternehmen erleidet einen Umsatzeinbruch sowie Reputationsschaden.

In der Praxis dürfte es in solchen Fällen, die auf weitgehend unternehmensinternen Vorgängen beruhen, für externe Anspruchsteller wie etwa Verbraucher schwierig sein, einen direkten Anspruch gegen den handelnden Entscheidungsträger darzulegen und zu beweisen. Für interne Anweisungen, die zu Vermögensschäden beim Unternehmen führen, haftet die Geschäftsführung jedoch regelmäßig gegenüber der geschädigten Gesellschaft. Zum Risiko einer Außenhaftung gegenüber Dritten gesellt sich auch beim Greenwashing das Risiko einer Innenhaftung der Organe gegenüber der Gesellschaft für Folgeschäden wie Betriebsunterbrechungen, Umsatzverluste oder auch Schadensersatzansprüche des Unternehmens gegenüber Dritten.

Fazit 

Die steigende Bedeutung von ESG-Standards in Recht und Gesellschaft könnte die Anzahl an Greenwashing-Vorwürfen erhöhen. Eine von Umweltverbänden aktiv vorangetriebene Klagewelle und verbesserte Möglichkeiten für Verbraucher, Schadensersatzansprüche wegen unlauterer Werbung durchzusetzen, verschärfen das Risiko insbesondere (aber nicht nur) der Konsumgüter produzierenden Unternehmen, zum Ziel von Umwelt- und Klimaklagen zu werden. Die finanziellen Folgen können empfindlich sein.

Gerade für Geschäftsführer kleinerer und mittlerer Unternehmen, die den Außenauftritt der Gesellschaft und deren Produkte häufig mitbestimmen, steigt die Gefahr, nicht bloß im Innenverhältnis zur Gesellschaft, sondern auch nach außen für Wettbewerbsverstöße persönlich zu haften.

 

Autorin: Alicia Verdugo Morales

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 03/2024

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