Totschweigen ist keine Lösung: Warum D&O-Verträge Regelungen zum Direktprozess brauchen

Führt die Pflichtverletzung eines Managers zu einem Schaden, dann kommt es regelmäßig zu langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Manager. Um dies zu vermeiden, suchen Unternehmen und Entscheidungsträger immer häufiger einvernehmliche Lösungen, die im besten Fall sogar eine weitere Zusammenarbeit ermöglichen.

Die Abtretung des Freistellungsanspruchs durch die versicherte Person an das Unternehmen stellt eine solche Lösung dar. Der Manager ermöglicht damit dem Unternehmen, sich mit der Inanspruchnahme direkt an den D&O-Versicherer zu wenden. 

Seit der BGH 2016 bestätigte, dass das Recht zur Abtretung nicht vertraglich ausgeschlossen werden darf[1], ist dieses Vorgehen gängige Praxis. In den D&O-Versicherungsbedingungen schlägt sich diese Praxis bisher nicht nieder. Dabei gibt es gerade aus Sicht des Unternehmens Regelungsbedarf. Denn die Praxis zeigt auch, dass D&O-Versicherer in Fällen der direkten Inanspruchnahme durch verschiedene prozesstaktische Einwendungen künstliche Hürden errichten, um damit die Abtretung so schwierig wie möglich zu gestalten. 

Welche Hürden dies sind und wie sich diese bereits durch eine klarstellende Vertragsgestaltung vermeiden ließen, zeigen wir im Folgenden auf.

1. Die Abtretung des Freistellungsanspruchs

Die Abtretung des Freistellungsanspruchs durch die versicherte Person an das geschädigte Unternehmen ist aufgrund des komplexen Drei-Parteien-Verhältnisses der D&O-Versicherung besonders attraktiv. Sie ermöglicht, die versicherte Person nahezu aus dem Spiel zu nehmen. Außerdem erlangt das Unternehmen als Versicherungsnehmer einen Direktanspruch gegen den Versicherer.

Beispiel:

Das Unternehmen U unterhält zum Schutz ihrer Manager eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (D&O-Versicherung) beim Versicherer V.

Während der Versicherungszeit erkennt U, dass ihr durch eine unzureichend geprüfte Kaufentscheidung ihres Managers M ein Millionenschaden entstand. U geht daher davon aus, einen Haftungsanspruch gegen M zu haben und macht diesen Haftungsanspruch geltend. Damit ist der Versicherungsfall unter der D&O-Versicherung eingetreten und M steht ein Abwehr- und Freistellungsanspruch gegen V zu.

Um einen langen und belastenden Haftungsprozess zu vermeiden, tritt M den Freistellungsanspruch an U ab. U kann dann direkt von V Zahlung in Höhe des Schadens verlangen (Direktanspruch). Der Direktanspruch besteht, wenn die Haftungs- und die Deckungsvoraussetzungen vorliegen.

In der Vergangenheit sahen D&O-Versicherer eine solche Vereinfachung der Schadenabwicklung mit Argwohn und versuchten unter anderem durch vertragliche Abtretungsverbote direkte Inanspruchnahmen durch die Unternehmen zu verhindern.

Im Jahr 2016 stellte der BGH jedoch klar, dass D&O-Versicherer die Abtretung des Freistellungsanspruchs an das geschädigte Unternehmen nicht durch die Versicherungsbedingungen ausschließen können. In der Praxis bleiben jedoch vermeintlich offene Rechtsfragen, die einige D&O-Versicherer nutzen, um die direkte Inanspruchnahme zu erschweren.

2. Darlegungs- und Beweislast

Im klassischen Organhaftungsfall profitiert das geschädigte Unternehmen von der Darlegungs- und Beweislastregelung des § 93 Absatz 2 Satz 2 AktG (analog für die GmbH): Nicht das Unternehmen muss die Pflichtverletzung beweisen, sondern der Manager muss nachweisen, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. 

Fordert nun das geschädigte Unternehmen direkt vom D&O-Versicherer Ersatz des Schadens, wendet der Versicherer regelmäßig ein, dass die in der Managerhaftung übliche Beweislastregelung nicht eingreife und das geschädigte Unternehmen die Pflichtverletzung nachweisen müsse.

Beispiel:

Manager M verursachte durch einen gewagten Einkauf Verluste beim Unternehmen U. In einem Haftungsprozess müsste nun M nachweisen, dass er bei dem Einkauf pflichtgemäß handelte (§ 93 Absatz 2 Satz 2 AktG (analog)). 

Nimmt nun U nach einer Abtretung den Versicherer V auf Zahlung in Anspruch, wendet V ein, dass der schadenverursachende Einkauf pflichtgemäß gewesen sei und U eine vermeintliche Pflichtverletzung nachweisen müsse.

2.1 Problem

Die Einwendung des Versicherers führt zu einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses. Das befasste Gericht muss sich nun zunächst mit der prozessualen Frage auseinandersetzen, ob das geschädigte Unternehmen oder der D&O-Versicherer die Pflichtverletzung nachzuweisen hat.

2.2 Rechtslage

Für ein Fortbestehen der Darlegungs- und Beweislastregelung des § 93 Absatz 2 Satz 2 AktG (analog) auch im Abtretungsfall sprechen gute Gründe[2]:

Dem Versicherer stehen bei der haftungsrechtlichen Prüfung des Sachverhalts durch das Gericht vergleichbare Verteidigungsmöglichkeiten offen, wie sie es dem Versicherer in einem klassischen Haftungsverfahren gegen den versicherten Manager zu gestanden hätten. So hat etwa auch der Manager gegenüber dem Versicherer die gleiche Mitwirkungspflicht (Aufklärungsobliegenheit nach § 31 VVG, bzw. gemäß den Versicherungsbedingungen) wie im Standardfall (Haftungsprozess gegen den Manager), wodurch die Sachnähe des Versicherers und sein Zugang zu Informationen unverändert gesichert sind. 

Eine Änderung der Beweislast zugunsten des Versicherers und zulasten des Versicherungsnehmers würde zudem dem Sinn und Zweck des § 108 Absatz 2 VVG (Unzulässigkeit eines Abtretungsverbots) widersprechen. Der Gesetzgeber zeigte mit der Einführung des § 108 Absatz 2 VVG, dass die direkte Abwicklung des Versicherungsfalls zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer gesetzgeberisch gewünscht ist. Hierzu führte der BGH auf: 

„Dann aber verbietet eine interessengerechte Auslegung sowohl des § 108 Absatz 2 VVG als auch der Vertragsbedingungen, es dem Geschädigten zum Nachteil gereichen zu lassen, wenn er mit der Erhebung seines Schadenersatzanspruchs gerade – oder sogar ausschließlich – diesen vom Gesetz eröffneten Zugriff auf die Leistung des Haftpflichtversicherers bezweckt.“[3]

Wenn nun aber das geschädigte Unternehmen bei einer direkten Inanspruchnahme auf die Darlegungs- und Beweislastregel des § 93 Absatz 2 Satz 2 AktG verzichten müsste, wäre ein durch § 108 Absatz 2 VVG gewollter Direktprozesse im Bereich der D&O-Versicherung deutlich erschwert.

Des Weiteren würden widersprüchliche Ergebnisse drohen.[4] Würde das geschädigte Unternehmen nämlich anstelle einer direkten Inanspruchnahme des Versicherers den Haftungsanspruch gegen den Manager gerichtlich durchsetzen, wäre der Versicherer an dieses Urteil gebunden. Die im Haftungsprozess anwendbare Darlegungs- und Beweislastregel des § 93 Absatz 2 Satz 2 AktG wirkt somit selbst ohne direkte Inanspruchnahme zulasten des Versicherers.

2.3 Lösungsmöglichkeit

Versicherungsnehmer sollten darauf drängen, dass der D&O-Versicherer schon im Versicherungsvertrag deklaratorisch klarstellt, dass die Darlegungs- und Beweislastregel des § 93 Absatz 2 Satz 2 AktG auch im Fall einer Abtretung des Freistellungsanspruchs entsprechend anwendbar ist.[5]

3. Anrechnung der Abwehrkosten

Die meisten D&O-Versicherungen enthalten sogenannte Kostenanrechnungsklauseln. Diese Kostenanrechnungsklauseln sollen dazu führen, dass die bei Abwehr des Haftungsanspruchs entstehenden Kosten („Abwehrkosten“) auf die Versicherungssumme angerechnet werden.

Beispiel:

Die Leistungspflicht des Versicherers V ist in der D&O-Versicherung auf EUR 1 Millionen begrenzt. Außerdem enthält die D&O-Versicherung eine Kostenanrechnungsklausel für Abwehrkosten.

In dem Direktprozess erhebt V neben Einwendungen gegen den zugrunde liegenden Haftungsanspruch auch deckungsrechtliche Einwendungen. V macht also geltend, dass etwa wegen eines versicherungsrechtlichen Risikoausschlusses kein Direktanspruch bestehe.

Das Unternehmen U erstreitet dennoch ein Urteil auf Zahlung gegen V. V wendet nun ein, dass durch die Prozesskosten im Direktprozess bereits EUR 500.000,00 der Deckungssumme verbraucht seien.

3.1 Problem

Der D&O-Versicherer handelt im Direktprozess nur noch im eigenen Interesse. Von dem Teil der Versicherungssumme, der für die Rechtsanwaltskosten des Versicherers im Rahmen der gerichtlichen Prüfung des Haftungsanspruchs verbraucht wird, profitiert – anders als im klassischen D&O-Fall – einzig der Versicherer selbst. Ohne exaktes Auseinanderhalten der Kosten für die haftungsrechtliche und die deckungsrechtliche Auseinandersetzung (innerhalb desselben Verfahrens), könnte der Versicherer weite Teile der Kosten des Direktprozesses auch im Fall einer Niederlage auf den Versicherungsnehmer abwälzen.

3.2 Rechtslage

Das OLG Frankfurt (Main) stellte im Jahr 2011 die generelle Unwirksamkeit einer Kostenanrechnungsklausel wegen Intransparenz fest.[6] Ob weitere Gerichte dieser Ansicht folgen, ist noch ungewiss.[7]

Bisher wurde daher noch nicht erörtert, ob die Kostenanrechnung im Direktprozess – bei einer unterstellten Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel – zulässig wäre.

Die besseren Argumente sprechen dafür, dass eine Anrechnung der Kosten im Direktprozess ausscheidet.

Ausgangsfrage ist, ob der D&O-Versicherer im Direktprozess die Interessen des versicherten Managers schützt. Nur der Schutz des Managers und damit die Erfüllung der Abwehrpflicht rechtfertigt die Anrechnung der Kosten. Der D&O-Versicherer verfolgt bei der Abwehr eines Direktanspruchs in aller Regel allein seine eigenen Interessen. Dies zeigt sich spätestens dann, wenn der Versicherer deckungsrechtliche Einwendungen gegen den Direktanspruch geltend macht.

3.3 Lösungsmöglichkeit

Der D&O-Versicherer sollte im D&O-Versicherungsvertrag deklaratorisch klarstellen, dass die Kostenanrechnungsklausel bei einer direkten Inanspruchnahme nicht eingreift.

4. Fazit und Praxisrat

Die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers ermöglicht dem geschädigten Unternehmen eine effiziente Abwicklung des Schadenfalls. Diese vom Gesetzgeber gewollte, den Betriebsfrieden wahrende Vereinfachung der Abwicklung begegnet aber in der Praxis bisher ungeregelten Rechtsfragen, auf die gängige D&O-Wordings noch nicht eingehen. 

Auch wenn sich diese Rechtsfragen im Sinne der geschädigten Unternehmen schließen lassen, eröffnet das Fehlen expliziter Regelungen den D&O-Versicherern Möglichkeiten, die direkte Inanspruchnahme erheblich zu erschweren und zu verteuern. Direktprozesse ziehen sich dann unnötig in die Länge.

Versicherungsnehmende Unternehmen sollten daher schon bei Abschluss des D&O-Vertrages darauf drängen, dass der D&O-Versicherer die oben dargestellten Lösungen aufnimmt und so keine künstlichen Hürden im Fall einer direkten Inanspruchnahme errichten kann. Aufgrund ihres rein deklaratorischen Charakters handelt es sich bei den Klarstellungen um keine Deckungserweiterungen oder um eine Besserstellung des Versicherungsnehmers. Daher sollten sie auch in einer aktuell harten Phase des D&O-Markts vom Versicherer nicht verwehrt werden.

Autor: Dr. David Ulrich

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis 02-2022

[1] BGH, Az: IV ZR 304/13, NJW 2016, 2184.

[2] Statt vieler: Koch, VersR 2016, 765, 768; Ulrich, Die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers, S. 197, m.w.N.

[3] BGH, Az: IV ZR 304/13, NJW 2016, 2184, Rn. 26.

[4] Koch, VersR 2016, 765, 768.

[5] Ulrich, Die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers, S. 312, mit einem Klauselvorschlag.

[6] OLG Frankfurt, VersR 2012, 432, 434.

[7] Offengelassen vom OLG Düsseldorf, r+s 2020, 271, Rn. 43.

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