Verbrauch der D&O-Deckung: Die zweifelhafte Praxis der Abwehrkostenverteilung
Verbrauch der D&O-Deckung: Die zweifelhafte Praxis der Abwehrkostenverteilung
Fall offen, Deckung aufgebraucht? In dieser Situation findet sich so mancher Manager, der sich gegen Schadensersatzansprüche zur Wehr setzt.
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Dr. Fabian Herdter, LL.M. Eur.
Das Gerichtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, womöglich laufen daneben noch strafrechtliche Ermittlungen, aber der D&O-Versicherer weigert sich, die Verteidigungskosten weiter zu bezahlen. Begründung: Die Versicherungssumme sei vollständig verbraucht. Im besten Szenario sind zukünftig „nur“ Anwaltsrechnungen aus eigener Tasche des Managers zu zahlen – im worst case auch noch millionenschwere Schadensersatzansprüche.
Insbesondere in Fällen, in denen mehrere Vorstandsmitglieder gleichzeitig in Anspruch genommen werden, kommt es mitunter zu der für die versicherten Personen fatalen Situation, dass die Versicherungssumme durch Abwehrkosten derart geschmälert wurde, dass für eine spätere Freistellung wenig bis gar nichts übrig ist. An wen wie viel Geld geflossen ist, bleibt für die Versicherten oft unklar. Wo liegt die Ursache dieses Problems?
1. Anrechnung von Abwehrkosten in der D&O-Versicherung
Nach Eintritt des Versicherungsfalls liegt es im Ermessen des D&O-Versicherers, ob er die Verteidigung der versicherten Person gegen die erhobenen Forderungen oder die Freistellung der versicherten Person von Schadensersatzansprüchen vornimmt. Entscheidet sich der Versicherer für den Versuch der Anspruchsabwehr (was der Regelfall ist), so hat er im Rahmen seiner Leistungspflicht die dafür entstehenden Kosten zu tragen. Das umfasst unter anderem Rechtsanwalts- und Sachverständigenkosten.
Die Kosten der Abwehr werden ebenso wie etwaige Freistellungskosten aus der Versicherungssumme bezahlt. Es findet also eine vollständige Anrechnung der Abwehrkosten auf die Versicherungssumme statt, so dass die für eine etwaige spätere Freistellung noch zur Verfügung stehende Summe allmählich schrumpft.
Beispiel 1:
Eine Gesellschaft nimmt ihre ehemalige Geschäftsführerin K für eine Pflichtverletzung auf Schadensersatz in Höhe von EUR 5 Mio. in Anspruch. Für die Geschäftsführung (das schließt ausscheidende Mitglieder wie K ein) unterhält das Unternehmen eine D&O-Versicherung mit einer Versicherungssumme von ebenfalls EUR 5 Mio. Der Versicherer entscheidet sich für den Versuch einer Anspruchsabwehr und zahlt die Honorare der Rechtsanwälte, die die Geschäftsführerin in einem Haftungsprozess verteidigen. Über zwei Instanzen laufen Anwaltshonorare in Höhe von EUR 500.000 auf. Der Prozess geht verloren und die Geschäftsführerin soll nun EUR 5 Mio. an das Unternehmen zahlen. Da von der Versicherungssumme lediglich EUR 4,5 Mio. übrig sind, muss die Managerin die restlichen EUR 500.000 aus ihrem privaten Vermögen bestreiten.
1.1 Vertragliche Grundlage
Die Kostenanrechnung ist in der Regel vertraglich zwischen dem D&O-Versicherer und dem Versicherungsnehmer (d.h. dem Unternehmen) vereinbart. Entsprechende Klauseln sind mit unterschiedlichem Regelungsgehalt und Umfang fester Bestandteil der marktüblichen D&O-Bedingungen. So heißt es beispielsweise in den D&O-Musterbedingungen des GDV:
„Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der gegenüber einer versicherten Person von einem Dritten und/oder dem Versicherungsnehmer bzw. einer Tochtergesellschaft geltend gemachten Ansprüche (insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten) werden auf die Versicherungssumme angerechnet.“ (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O), Stand: Mai 2020, Ziffer A-6.4)
Empfehlenswert ist in jedem Fall eine klarstellende Auflistung derjenigen Kostenpositionen, die als Abwehrkosten angerechnet werden. Interne Kosten des Versicherers sollten dabei von der Anrechnung ausdrücklich ausgeschlossen sein.
1.2 Fragliche Wirksamkeit
Die Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklauseln war und ist umstritten, denn sie weicht von den gesetzlichen Grundsätzen der Haftpflichtversicherung ab. Der Gesetzgeber normiert in § 101 Absatz 2 VVG, dass Abwehrkosten gerade nicht auf die Versicherungssumme anzurechnen sind:
„Ist eine Versicherungssumme bestimmt, hat der Versicherer die Kosten eines auf seine Veranlassung geführten Rechtsstreites und die Kosten der Verteidigung […] auch insoweit zu ersetzen, als sie zusammen mit den Aufwendungen des Versicherers zur Freistellung des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme übersteigen.“
Zwar können Vertragsparteien von den gesetzlichen Regelungen durch eine Vereinbarung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen abweichen. Hierzu muss die entsprechende Klausel jedoch wirksam vereinbart sein, also der AGB-Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB (hier insbesondere § 307 BGB) standhalten. Stimmen in der Literatur weisen jedoch darauf hin, dass Kostenanrechnungsklauseln regelmäßig intransparent seien und den Versicherungsnehmer sowie die versicherten Personen unangemessen benachteiligen (vgl. bspw. Wilhelm/Becker: Unwirksamkeit der Anrechnung von Abwehrkosten auf die Versicherungssumme in D&O-Versicherungsverträgen?; Die VersicherungsPraxis 02/2013 27ff.). Schließlich könne der Versicherungsnehmer weder erkennen, welche Kosten für die Verteidigung anfallen und wie hoch demzufolge die Deckungslücke der Freistellung sein wird. Noch habe der Versicherungsnehmer Einfluss auf die Entstehung der Abwehrkosten, da die Abwehr allein im Ermessen des Versicherers liege.
Das sah auch das OLG Frankfurt a.M. in einer kontrovers diskutierten Entscheidung im Jahr 2011 so und verwarf die dort vorgelegte Kostenanrechnungsklausel als unwirksam (OLG Frankfurt vom 9. Juni 2011, Az. 7 U 127/09 in r+s 2011, Seite 509 ff.). Wohl auch aufgrund verbreiteter Kritik in der Literatur (vgl. bspw. Armbrüster: Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung; NJW 2016 897ff.) hatte das Frankfurter Urteil aber kaum Auswirkungen auf die Praxis. Trotz bis heute nicht höchstrichterlich geklärter Wirksamkeitsfrage ist die Kostenanrechnung auch heute noch Standard in der D&O.
2. Problem Nr. 1: Verbrauch der Versicherungssumme
Die Anrechnung der Abwehrkosten bringt praktische Probleme für die versicherten Personen, den Versicherungsnehmer und die Parteivertreter mit sich. Das offensichtlichste Problem ist der drohende Verbrauch der Versicherungssumme.
2.1 Folgen des Verbrauchs für die versicherten Personen und den Versicherungsnehmer
Wie bereits Beispiel 1 zeigt, kann schon der nur anteilige Verbrauch der Versicherungssumme für die in Anspruch genommenen versicherten Personen gravierende nachteilige Auswirkungen haben, wenn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Höhe nach der Versicherungssumme entspricht oder diese übersteigt. In diesen Fällen ist die Anrechnung im Fall einer späteren erfolgreichen Anspruchsdurchsetzung gleichbedeutend mit der Zahlung der Verteidigungskosten durch den Manager aus eigener Tasche.
In der Praxis kommt es zu Konstellationen, in denen für die Schadenkompensation kaum oder kein Geld mehr übrig ist, nachdem alle angefallenen Abwehrkosten angerechnet wurden, wie folgendes Beispiel 2 zeigt:
Die INSO AG hält eine D&O-Police mit einer Versicherungssumme i.H.v. EUR 30 Mio. für ihre Manager. Nach der Insolvenz des Konzerns mit zahlreichen Tochtergesellschaften nimmt der Insolvenzverwalter die fünf ehemaligen Mitglieder des Vorstands sowie sechs Geschäftsführer verschiedener Töchter der INSO AG gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Höhe von EUR 45 Mio. in Anspruch.
Für die zivilrechtliche Verteidigung der elf Manager bestellen sich Anwaltsteams aus elf Kanzleien. Hinzu kommen fünf Strafverteidiger, die die strafrechtliche Verteidigung mehrerer Vorstände übernehmen, gegen die wegen möglicher Insolvenzverschleppung ermittelt wird. Auch ihre Kosten werden auf Grundlage eines Strafrechtsschutzbausteins in der D&O-Police aus der Versicherungssumme bestritten. Weitere versicherte Kosten umfassen unter anderem Honorare für PR-Berater und Presse-Anwälte.
Die Prozesse gegen die ehemaligen INSO-Manager ziehen sich über mehr als zehn Jahre und verursachen beträchtliche Kosten, die sich schlussendlich auf rund EUR 28 Mio. summieren. Für die Freistellung von den Forderungen in Höhe von EUR 45 Mio. verbleiben so letztlich lediglich EUR 2 Mio. Die Manager stehen damit am Ende des Verfahrens praktisch ohne Versicherungsschutz dar.
Leidtragende des Verbrauchs der Versicherungssumme durch Abwehrkosten sind, wie das Beispiel zeigt, nicht nur die versicherten Personen, sondern auch das geschädigte Unternehmen als Versicherungsnehmer. Durch die Anrechnung steht häufig nicht mehr genügend Deckung für eine vollständige Kompensation des beim Unternehmen eingetretenen Vermögensschadens zur Verfügung.
2.2 Lösungsmöglichkeiten
Die grundsätzliche Problematik, dass Abwehrkosten die Versicherungssumme schmälern, lässt sich kaum auflösen. Eine gerichtliche Anfechtung der Klausel dürfte in den meisten Fällen schwierig sein und weitere Kosten für den Manager verursachen. Vollständig vertraglich abbedingen lässt sich die Anrechnung im derzeitigen Marktumfeld nach unserem Kenntnisstand nicht.
Überdurchschnittliche Maklerbedingungen können zumindest eine Einschränkung der Anrechnung vorsehen; Beispiel:
„Eine Anrechnung von Abwehrkosten und Zinsen auf die Deckungssumme erfolgt nicht für Versicherungsfälle, die während der Vertragslaufzeit eintreten, wenn die vereinbarte Deckungssumme EUR 5,0 Mio. nicht überschreitet. In diesen Fällen trägt der Versicherer je Versicherungsfall und Versicherungsperiode über die vereinbarte Deckungssumme hinaus die Kosten und Zinsen, maximal bis zu 50 % der vereinbarten Deckungssumme.“ (Hendricks & Partner Bedingungen HPDO 2020 Stand 09.19, Version Newline; Ziff. 2.6 Abs. 3)
Es verbleiben also Möglichkeiten zur Abmilderung der Folgen des Verbrauchs. Hier ist in erster Linie das Verschaffen einer auskömmlichen und risikoadäquaten Versicherungssumme zu nennen. Bereits bei der Festlegung der Versicherungssumme sollten die Entscheidungsträger des Versicherungsnehmers die spätere Anrechnung von Abwehrkosten berücksichtigen. Allein die Verteidigung eines Organmitglieds kann bereits einen hohen sechsstelligen Betrag aufbrauchen, mitunter sogar mehr. Hat die Gesellschaft zahlreiche versicherte Organmitglieder, so kann sich diese Summe entsprechend multiplizieren.
Entscheidungsträger sollten sich über eine Verschaffungsklausel im Anstellungsvertrag zusichern lassen, dass das Unternehmen einen ausreichenden D&O-Versicherungsschutz beschafft, der summenmäßig nicht nur die Risiken des Unternehmens abbildet, sondern auch das Abwehrkosten-Risiko umfasst. Damit kann im Ernstfall ein Schadenersatzanspruch gegen das Unternehmern begründet werden, wenn der Deckungsumfang der Unternehmens-Police unzureichend ist.
Ergänzend stehen am Markt auch private D&O-Policen für Manager – quasi als doppeltes Netz für den Haftungsfall – zur Verfügung, die jedoch auch privat bezahlt werden müssen und in der Regel über keine hohen Deckungssummen verfügen.
Möglich ist auch eine separate Absicherung von Vorstand und Aufsichtsrat, so dass zumindest für die Aufsichtsratsmitglieder das Risiko gebannt ist, dass die Verteidigung der Vorstandsmitglieder im Fall einer Inanspruchnahme bereits die gesamte Versicherungssumme aufzehrt. So genannte „Two-Tier-Trigger“-Policen und „Twin Tower“-Modelle stellen jeweils eigene Deckungskonzepte dieser Art dar, die eine vor dem vorzeitigen Verbrauch „geschützte“ eigene Deckung für den Aufsichtsrat bieten.
Verschiedene Maklerbedingungen bieten auch die Möglichkeit eines Wiederauffüllens der Versicherungssumme nach Eintritt des Versicherungsfalls für die gleiche Versicherungsperiode an. Auf Antrag des Versicherungsnehmers (und gegen Zahlung einer zusätzlichen Prämie) steht dann im Fall eines zweiten Versicherungsfalls eine erneute Deckung zur Verfügung. Ein Wiederauffüllen der Deckung für einen bereits eingetretenen Versicherungsfall ist jedoch nicht möglich. Ähnlich verhält es sich mit Zusatzlimiten für Abwehrkosten nach Verbrauch der Versicherungssumme. Auch diese sind in der Regel auf Abwehrkosten für weitere etwaige Versicherungsfälle beschränkt.
3. Problem Nr. 2: Intransparente Verteilung unter den versicherten Personen
Wie bereits Beispiel 2 zeigt, wiegt die Anrechnung der Abwehrkosten auf die Versicherungssumme immer dann besonders schwer, wenn gleich mehrere versicherte Personen unter ein und demselben Versicherungsvertrag für den gleichen Vermögensschaden in Anspruch genommen werden (und somit ein einheitlicher Versicherungsfall vorliegt).
Derartige Konstellationen führen aber nicht nur zu einem besonders schnellen Verbrauch der Versicherungssumme durch Abwehrkosten, sondern werfen auch die Frage auf, wie die begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel verteilt werden sollen. Problematisch ist, dass die Verteilung in der Regel nicht in der Hand des Versicherungsnehmers liegt und dieser ebenso wie die betroffenen Manager kaum Einblick in die Verteilung durch den Versicherer erhalten.
3.1 Folgen einer intransparenten Verteilung
Die Problematik der intransparenten Verteilung lässt sich an folgendem Beispiel 3 verdeutlichen:
Die insolvente Bankrotic GmbH verfügt über eine D&O-Deckung i.H.v. EUR 2,5 Mio. Der Insolvenzverwalter der Bankrotic GmbH nimmt zunächst den ehemaligen Geschäftsführer A auf EUR 4 Mio. Schadensersatz in Anspruch.
Im Verlauf des Insolvenzverfahrens und der haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen mit A ergeben sich Hinweise auf Pflichtverletzungen des zweiten ehemaligen Geschäftsführers B. Auch ihn nimmt der Insolvenzverwalter nun auf Schadensersatz in Anspruch. Ein Jahr später erfolgt die Inanspruchnahme zweier weiterer Geschäftsführer C und D, die zwei Tochterunternehmen der Bankrotic leiteten.
Beim D&O-Versicherer sind zwischenzeitlich Abwehrkosten in Höhe von EUR 2,4 Mio. aufgelaufen. Davon entfielen auf A EUR 1,0 Mio., auf B und C jeweils EUR 0,6 Mio. und auf D EUR 0,2 Mio. Nach fünf Jahren vor verschiedenen Gerichten, die die Ansprüche gegen A, B und C jeweils zurückwiesen, läuft lediglich noch das Verfahren gegen D.
Doch als die Rechtsanwälte von D die Honorarrechnungen für die zweite Instanz des Organhaftungsprozesses beim Versicherer einreichen, erhalten sie die Mitteilung des Sachbearbeiters des Versicherers, dass die Versicherungssumme nun leider aufgebraucht sei. Weitere Kosten (oder gar eine spätere Freistellung des D von Ansprüchen) sei der Versicherer nicht bereit zu übernehmen.
Derartige Fallkonstellationen sind in der Praxis häufiger als gemeinhin angenommen. Die Verteilung der Versicherungssumme erfolgt oft nach dem first come first served-Prinzip oder – noch fataler – auf Grundlage einer für die versicherten Personen nicht zu durchschauenden Entscheidungspraxis des Versicherers. Wenn zusätzlich zum Grundversicherer noch weitere Exzedentenversicherer hinzukommen, wird die allseitige Verwirrung umso größer.
Für die versicherten Personen bleibt dabei vollkommen unklar, wann welche Zahlungen aus der Versicherungssumme auf welche Rechnungen hin erfolgten – und damit auch, ob eine faire Verteilung der verfügbaren Mittel unter den in Anspruch genommenen Managern vorgenommen wurde oder nicht. Erfolgt etwa eine Verteilung nach Rechnungseingang, so profitiert paradoxerweise meist der Manager, dessen Fehlverhalten am gravierendsten war. Denn offensichtliches Fehlverhalten führt meist zu einer schnelleren Inanspruchnahme.
Noch dazu erfolgt die Mitteilung über den Verbrauch regelmäßig ohne Vorwarnung und somit völlig überraschend für die versicherten Manager und ihre Rechtsbeistände. Sie haben häufig auch keine Möglichkeit, den Stand des Verbrauchs beim Versicherer abzufragen und keine Kalkulationsgrundlage, um den Verbrauch selbst zu berechnen oder zu überprüfen.
3.2 Lösungsmöglichkeiten
Für die Verteilung bei unzureichender Versicherungssumme in der D&O-Versicherung gibt es kein bewährtes best practice, keine Rechtsprechung und keine klare gesetzliche Grundlage. Versicherungsrechtler haben deshalb mögliche Verteilungsverfahren herausgearbeitet und diskutiert (für einen umfassenden Überblick vgl. Peppersack: Das Kürzungs- und Verteilungsverfahren in der D&O-Versicherung, Dissertation, 2017). Will der Versicherungsnehmer die Verteilung vertraglich im Vorfeld geregelt wissen, so bleiben nur diese in der Literatur diskutierten Ansätze.
Teile der Literatur halten eine analoge Anwendung des so genannten „Proportionalitätsprinzips“ aus § 109 VVG für angemessen. § 109 VVG regelt, dass der Haftpflichtversicherer Geschädigte nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu entschädigen hat, wenn die Gesamthöhe der Haftpflichtansprüche die Versicherungssumme übersteigt.
Überträgt man dieses Prinzip jedoch auf die D&O-Versicherung, so müsste der Versicherer erst alle anfallenden Abwehrkosten (sowie ggf. Freistellungskosten) sämtlicher in Anspruch genommenen Versicherten kennen, um daraus Quoten bilden zu können. Anhand dieser Quoten könnte er schließlich eine Verteilung unter den versicherten Personen vornehmen. Das ist praxisfern, da die entstehenden Verteidigungskosten dann zunächst von den Betroffenen jahrelang vorgestreckt werden müssten oder – falls der Versicherer Vorschusszahlungen leistet – einzelne Manager später hohe Rückzahlungen zu tätigen hätten (von deren erfolgreicher Eintreibung der Erfolg des Verteilungsverfahrens abhängig wäre).
Auch die Wahl des „Prioritätsprinzips“, also des first come first served, empfiehlt sich aus den oben genannten Gründen („Wettlauf“ um frühzeitige Inanspruchnahme, als unfair wahrgenommene Verteilung) nicht. Akzeptabler für alle versicherten Personen erscheint demgegenüber das „Kopfprinzip“, wonach die Versicherungssumme in gleicher Höhe auf alle betroffenen Versicherten verteilt wird. Nicht benötigte Anteile werden dann ebenfalls wieder in gleichen Anteilen auf die verbliebenen versicherten Personen verteilt. Vorteil dieser Verteilung ist, dass dem in Anspruch genommenen Organmitglied die Summe von Anfang an bekannt ist, die ihm mindestens zur Verfügung steht.
Unabhängig von der Verteilung der Deckungssumme sollte der Versicherungsnehmer seinen versicherten Organmitgliedern in den Versicherungsbedingungen mindestens das Recht zusichern lassen, auf Anfrage jederzeit vom Versicherer Auskunft über die verbliebene Versicherungssumme zu erhalten (überdurchschnittliche Maklerbedingungen schließen so ein Auskunftsrecht bereits ein, z.B. D&O Versicherung Tokio Marine HCC / Finlex 2020, Ziff. 4.1 Abs. C).
Im Streitfall können versicherte Personen vom D&O-Versicherer eine Aufdeckung der geleisteten Zahlungen fordern. Dies jedenfalls dann, wenn der Versicherer seine Leistung mit der Begründung ablehnt, die Deckung sei aufgebraucht. Bestreiten die Vertreter des versicherten Managers im Deckungsprozess, dass die Versicherungssumme erschöpft ist, so ist der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet und muss substantiiert vortragen, wie die (angeblich verbrauchte) Deckungssumme verwendet wurde.
4. Fazit
Die Anrechnung von Abwehrkosten in der D&O-Versicherung bringt zahlreiche Probleme mit sich – insbesondere, wenn die verfügbare Deckung auf mehrere versicherte Entscheidungsträger zu verteilen ist. Bewährte vertragliche Regelungen zum Wiederauffüllen sowie zur Verteilung der Versicherungssumme fehlen gegenwärtig genauso wie ein kodifiziertes Auskunftsrecht der versicherten Personen über den Stand des Verbrauchs der Deckungssumme. Hier muss die Versicherungswirtschaft nachbessern und Lösungen entwickeln, die mehr Transparenz und Rechtssicherheit schaffen. Die Verschaffungsklausel im Anstellungsvertrag sowie ggf. eine private D&O-Deckung können für die Entscheidungsträger in solchen Fällen elementar werden.
Der versicherten Wirtschaft ist zu raten, nach Möglichkeit ausreichende Kapazitäten vorzuhalten, die auch der Inanspruchnahme mehrerer Organmitglieder standhalten und anschließend noch Spielraum für eine wirksame Schadenkompensation lassen. Mit vorausschauenden vertraglichen Regelungen lassen sich einige der Folgen der Abwehrkostenanrechnung mildern – aber die Grundproblematik bleibt bestehen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 07/08-2024, S. 42 ff.
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