Anfechtung und Bußgelder: Zwei unlösbare Probleme der D&O-Versicherung?
Anfechtung und Bußgelder: Zwei unlösbare Probleme der D&O-Versicherung?
Oft treten erst nach Eintritt eines Vermögensschadens Deckungslücken im Versicherungsschutz auf. So auch in der D&O-Versicherung, in der im Fall einer einzigen arglistig täuschenden Person alle weiteren versicherten Entscheidungsträger ebenfalls ihren Versicherungsschutz verlieren können.
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In den jüngsten Diskussionen um Prämien und Deckungskapazitäten in der D&O-Versicherung drohte unterzugehen, was viele versicherte Manager noch stärker umtreibt als Preise: drohende Lücken im Versicherungsschutz.
Ein Risiko hat der BGH 2020 abgeräumt: Zahlungen nach Insolvenzreife sind jetzt auch dann vom D&O-Schutz umfasst, wenn die Insolvenzhaftung nicht explizit als versichert im Vertrag genannt ist. Für zwei weitere Probleme steht eine Lösung weiterhin aus: Versicherungsschutz für Bußgelder und das Risiko der Anfechtung des Versicherungsvertrags.
1. Anfechtung: Wie umgehen mit dem Risiko?
Das Comroad-Urteil des OLG Düsseldorf[1] kam in der D&O-Versicherung 2005 einem Erdbeben gleich. Was war geschehen? Der Aufsichtsratsvorsitzende der Comroad AG hatte mit detektivischer Recherche in Erfahrung gebracht, dass im Geschäftsbericht veröffentlichte Zahlen in keiner Weise der Realität entsprachen. Es gab Klagen von Aktionären gegen inhaftierte und vermögenslose Vorstände und auch gegen den Vorsitzenden des Aufsichtsrates, der die Betrügereien ans Licht gebracht hatte.
Das Problem: Der D&O-Versicherer sah sich arglistig getäuscht und erklärte die Anfechtung des gesamten Versicherungsvertrags (§ 22 VVG, § 123 BGB). Den Einwand der redlichen versicherten Personen (etwa des Aufsichtsratsvorsitzenden), die Anfechtung könne ja nur diejenigen Versicherten betreffen, die von der Täuschung mindestens Kenntnis hatten, ließ das Gericht im dann folgenden Prozess nicht gelten. Der Versicherungsschutz für alle versicherten Personen entfiel (Nichtigkeit des gesamten Versicherungsvertrages von Anfang an gem. § 142 BGB).
In der D&O-Versicherung ist diese Wirkung der Anfechtung besonders weitreichend, weil Versicherungsnehmer meist einheitlich eine D&O-Versicherung auch für die Tochterunternehmen eines Konzerns abschließen und damit zahlreiche versicherte Personen durch die Täuschung einer für den Versicherungsnehmer tätigen Person ihren gesamten Versicherungsschutz verlieren können.
1.1 Der Anfechtungsverzicht als Scheinlösung
In Reaktion auf das Comroad-Urteil führten Versicherungsmakler und D&O-Versicherer Anfechtungsverzichte in unterschiedlicher Ausgestaltung in die Verträge ein. Doch rechtlich stehen diese Verzichte und andere Formulierungen zur Begrenzung des Anfechtungsrisikos auf tönernen Füßen.
Gängige Anfechtungsverzichtsklauseln lauten etwa:
„Für arglistig täuschende versicherte Personen oder solche, die hiervon Kenntnis hatten, besteht kein Versicherungsschutz. Im Übrigen verzichtet der Versicherer für diese Fälle auf das Recht der Anfechtung.“
In zwei Entscheidungen stellte der Bundesgerichtshof zu einer (anderen) Versicherung für fremde Rechnung jedoch fest, dass der Versicherer nicht im Voraus auf sein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung verzichten kann.[2] Soweit die BGH-Entscheidungen auf die D&O-Versicherung übertragbar sind (höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu erging bislang nicht), gilt daher: Klauseln in D&O-Versicherungsverträgen, mit denen der Versicherer pauschal im Voraus auf das Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung verzichtet, sind unwirksam.
1.2 Lösungswege
Für die versicherten Personen stellt sich daher die Frage: Wie sichere ich meinen Versicherungsschutz im Fall einer Täuschung durch ebenfalls unter meiner D&O-Police versicherte Kollegen?
Die einfachste, aber gerade im Konfliktfall unwahrscheinliche Lösung ist, dass der Versicherer von seinem Anfechtungsverzicht keinen Gebrauch macht. Entsprechende Zusicherungen haben Versicherer seit den BGH-Entscheidungen zur Unwirksamkeit des Anfechtungsverzichts mitunter gegeben.
Auf eine Anfechtung zu verzichten, obwohl diese möglich wäre, kann für den Versicherer im Einzelfall sinnvoll und vertretbar sein, etwa zur Wahrung einer Geschäftsbeziehung. Ein solches nach Eintritt des Versicherungsfalls nicht ausgeübtes Anfechtungsrecht ist allerdings als bloße Kulanz einzuordnen. Der Versicherer ist nicht durch einen unwirksamen Anfechtungsverzicht gebunden. Vielmehr können sich gerade bei Großschäden Versicherer etwa gegenüber Aktionären, Exzedentenversicherern oder Rückversicherern in der Pflicht sehen, alle rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um ihre Leistungspflicht auszuschließen. Es wäre deshalb von versicherten Managern und versicherungsnehmenden Gesellschaften wagemutig, sich allein auf Beteuerungen des Versicherers vor Eintritt eines Versicherungsfalls zu verlassen.
Risikominimierung
Schon vor Vertragsschluss kann der Versicherungsnehmer das Risiko einer späteren Anfechtung minimieren.
Zurechnung nur von Täuschungen durch Repräsentanten:
In jedem Fall sollte der D&O-Versicherungsvertrag durch eine Repräsentantenklausel[3] und einen Ausschluss der Zurechnung nach § 47 Abs. 1 VVG sicherstellen, dass nur Täuschungen durch einen kleinen Kreis an Repräsentanten ein Anfechtungsrecht begründen. Das minimiert zunächst das Anfechtungsrisiko, stellt jedoch noch keine adäquate Lösung des Problems dar.
Versicherer bestätigt Vollständigkeit der erhaltenen Unterlagen:
Der Versicherer könnte vor Vertragsschluss bestätigen, dass die erhaltenen Unterlagen und Informationen für seine Risikokalkulation ausreichend sind. Damit wäre es dem Versicherer erschwert, die Anfechtung auf vermeintlich unterlassene Angaben zu stützen. Vielmehr müsste dann der Versicherer nachweisen, dass er ohne die vermeintlich unterlassene Angabe den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte.
Zwischenschalten eines Versicherungsmaklers:
Um das Risiko einer Anfechtung zu minimieren, sollten Versicherungsnehmer erfahrene und etablierte Versicherungsmakler einschalten. Etablierte Versicherungsmakler verwenden häufig eigene Fragebögen und verhindern so eine ausufernde Befragung durch den Versicherer. Des Weiteren können die Versicherungsmakler hinsichtlich der von ihnen gestellten Fragen die Versicherungsnehmer umfassend beraten und so eine Falschbeantwortung verhindern.
Außerdem profitieren Versicherungsnehmer von einer Zwischenschaltung eines Versicherungsmaklers auch dann, wenn der Versicherer (zusätzlich) wegen einer (vermeintlichen) Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 19 VVG den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt. Die vom Versicherungsmakler gestellten Fragen gelten grundsätzlich nicht als vom Versicherer gestellt, sodass dem Versicherer kein Rücktrittsrecht zusteht.[4]
Modifizierte Anfechtungsverzichte
Eine weitere Möglichkeit ist die Vereinbarung einer sogenannten „qualifizierten Severability-Klausel“. Solche qualifizierten Severability-Klauseln enthalten zwar weiterhin einen Anfechtungsverzicht, ermöglichen aber dem Versicherer über einen Risikoausschluss, gegenüber den täuschenden Personen leistungsfrei zu werden.
Damit sichert die qualifizierten Severability-Klausel zumindest in der Theorie die redlichen versicherten Personen. Fraglich und bisher höchstrichterlich nicht entschieden ist aber, ob solche qualifizierten Severability-Klauseln überhaupt wirksam sind.[5]
Gleiches gilt für sogenannte Trennbarkeitsklauseln, nach denen im Falle einer Anfechtung der D&O-Versicherungsvertrag in einen nichtigen und einen wirksamen Teil getrennt werden soll (§ 139 BGB).[6] Auch hierzu gibt es noch keine Rechtsprechung.
Ergänzende Versicherungen
Um für den Fall einer erfolgreichen Anfechtung geschützt zu sein, bietet sich der Abschluss weiterer Versicherungen an.
Selbständige D&O-Versicherung für Aufsichtsrat und Tochterunternehmen:
Durch eine selbständige D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat und Tochterunternehmen wird verhindert, dass eine Täuschung durch ein Mitglied des Vorstands der Muttergesellschaft auch den Versicherungsschutz für die Aufsichtsratsmitglieder bzw. die Entscheidungsträger der Tochtergesellschaften entfallen lässt.
Die Verwaltung und Koordinierung zahlreicher D&O-Versicherungen für verschiedene Gruppen von Entscheidungsträgern innerhalb einer Konzernstruktur führt jedoch zu einem erhöhten Aufwand und höheren Abschlusskosten. Auch löst dieses Modell nicht die Anfechtungsgefahr für die redlichen Mitglieder des Vorstands der Muttergesellschaft.
Persönliche D&O-Versicherung:
Vollständigen Schutz stellt allein eine zusätzliche, persönliche D&O-Versicherung jedes Managers dar.[7] Die versicherten Personen können nämlich individuell eine persönliche D&O-Versicherung abschließen und sind damit unabhängig von der Unternehmens-D&O-Versicherung geschützt.
Neben diesem Schutz vor einer möglichen Anfechtung, erhält die versicherte Person eine weitere eigene Versicherungssumme (die etwa greift, wenn die konzerneigene Versicherungssumme aufgebraucht ist) und kann zudem einen verpflichtenden Selbstbehalt abdecken. Die persönliche D&O stellt daher den „Königsweg“ der Absicherung gegen verschiedene Unzulänglichkeiten der klassischen Unternehmens-D&O dar. Dabei gilt es aber zu beachten: Die Prämien einer solchen Zusatzpolice hat der versicherte Manager selbst zu tragen.
Zusätzliche Rechtsschutzversicherung
Das Unternehmen könnte auch zugunsten der versicherten Personen eine subsidiäre und durch die Anfechtung der D&O-Versicherung bedingte Rechtsschutzversicherung abschließen. Diese Rechtsschutzversicherung könnte dann (1.) die Abwehrkosten gegen den geltend gemachten Haftungsanspruch und (2.) die Durchsetzung des Deckungsanspruchs abdecken.
2. Bußgelder: Versicherbar oder nicht?
Eine weitere Deckungslücke droht versicherten Personen immer dann, wenn Bußgelder unmittelbar oder mittelbar gegen die versicherte Person geltend gemacht werden.
2.1 Bußgelder unmittelbar gegen die versicherte Person
Ermittelt eine Behörde unmittelbar gegen eine versicherte Person und droht die Verhängung eines Bußgelds an, erhält die versicherte Person keinen Versicherungsschutz unter einer klassischen D&O-Versicherung.
Nur wenn die D&O-Versicherung auch eine Strafrechtsschutzklausel enthält, kann die versicherte Person die Deckung der Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Allerdings ist einer eigenständigen Strafrechtsschutzversicherung der Vorzug zu geben. Die Übernahme eines gegen die versicherte Person gerichteten Bußgelds scheidet jedoch wegen Sittenwidrigkeit regelmäßig aus (§ 138 BGB).[8]
2.2 Bußgelder gegen den Versicherungsnehmer – Regress bei der versicherten Person
Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob der Manager auch dann Versicherungsschutz genießt, wenn der Versicherungsnehmer wegen eines Unternehmensbußgelds gegen die mutmaßlich verantwortlichen Entscheidungsträger Regress nimmt. Kann also die versicherte Person von ihrem D&O-Versicherer Versicherungsschutz verlangen, wenn der Versicherungsnehmer die versicherte Person wegen eines gegen das Unternehmen verhängten Bußgelds in Anspruch nimmt?
Teilweise ist auf diese Frage die Erwiderung zu hören, dass die versicherte Person auf keinen Versicherungsschutz angewiesen sei. Der Versicherungsnehmer könne Unternehmensbußgelder schon gar nicht bei der versicherten Person (seinem Manager) regressieren, da kein dafür notwendiger Haftungsanspruch vorliege.[9] Doch zu dieser Frage hat der BGH noch keine Aussage treffen dürfen.
Solch theoretische Diskussion helfen dem Manager auch wenig, wenn er sich einem derartigen Haftungsanspruch ausgesetzt sieht. Denn dann benötigt der Manager Rechtsschutz, um sich gegen die Forderung zu verteidigen. Es handelt sich also um den klassischen Fall der Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche, für den die D&O-Versicherung konzipiert ist. Dennoch schließen die Musterbedingungen des GDV in Ziffer A-7.10 AVB-D&O den Versicherungsschutz explizit aus.
Versicherungsnehmer und versicherte Personen sollten daher prüfen, ob die eigene D&O-Versicherung Versicherungsschutz für Haftungsansprüche aufgrund eines Unternehmensbußgelds ausschließt. Sollte die versicherte Person keinen solchen Deckungsanspruch in der Unternehmenspolice finden, verbleibt ihr nur noch der Abschluss einer persönlichen D&O-Versicherung.
3. Fazit
Die Damoklesschwerter der Anfechtung und des Bußgeldregresses schweben weiterhin über den Köpfen der redlichen – und vermeintlich versicherten – Entscheidungsträger in Deutschland. Da beim Thema Anfechtung weder auf Zusagen des Versicherers noch auf vertragsinterne Klausel-Lösungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt hundertprozentig Verlass ist, bleibt für das Gros der Manager als sicherster Weg nur eine zusätzliche individuelle Absicherung über eine persönliche D&O-Police.
Eine solche Police kann auch eine mögliche Deckungslücke schließen, die aus der Gefahr von Bußgeld-Regressen hervorgeht, solange D&O-Versicherer zu diesem Thema keine einheitliche Position und verlässliche Lösung gefunden haben.
Autoren: Dr. David Ulrich, Michael Hendricks (Hendricks GmbH)
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 02/2023
Literatur/Quellen:
[1] OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.08.2005 - I-4 U 140/04.
[2]Beschl. v. 21. September 2011, Az. IV ZR 38/09; Beschl. v. 9. November 2011, Az. IV ZR 40/09.
[3]Lange in Veith/Gräfe/Gebert4, § 21, Rn. 113 ff.
[4]OLG Hamm, r + s 2011, 198.
[5] Für eine Wirksamkeit: Gädtke, r+s 2013, 313, 315.
[6]Gädtke, r+s 2013, 313, 317.
[7] Melot de Beauregard, ZStV 2015, 143, 146: Vermieden werden kann dieser „Effekt“ [einer Anfechtung des gesamten Versicherungsvertrags] derzeit freilich nur, indem jedes Organmitglied unabhängig und für sich selbst eine D&O-Versicherung abschließt“.
[8]Gädtke in Bruck/Möller10, A-7 AVB D&O, Rn. 109.
[9] Thomas, NZG 2015, 1409.
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