Der Rückforderungsvorbehalt des Haftpflichtversicherers
Der Rückforderungsvorbehalt des Haftpflichtversicherers
Haftpflichtversicherer stellen ihre Deckungszusagen häufig unter den Vorbehalt der Rückforderung. Sie signalisieren damit, Zweifel an ihrer tatsächlichen Eintrittspflicht zu haben und weiter zu prüfen, ob zum Beispiel ein Ausschluss greift. Für die Versicherten bedeutet das eine mitunter jahrelange Hängepartie.
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Alicia Verdugo Morales
Unternehmen und Privatpersonen schließen Haftpflichtversicherungsverträge in der Erwartungshaltung ab, im Schadenfall schnell und unkompliziert Versicherungsschutz zu erhalten. Gemäß dem gesetzlichen Leitbild (§ 100 VVG) soll der Haftpflichtversicherer im Schadenfall unberechtigte Haftungsansprüche abwehren und berechtigte Haftungsansprüche erfüllen – am besten durch eine schnelle und klare Deckungsbestätigung.
In der Realität sieht das jedoch häufig anders aus: Immer öfter erteilen Versicherer nur eine vorläufige Zusage – vorbehaltlich der späteren Rückforderung. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtliche und praktische Tragweite solcher Zusagen.
1. Grundprinzipien des Haftpflichtversicherungsvertrags
Dem Haftpflichtversicherungsvertrag liegt ein klar umrissenes Leistungsspektrum zugrunde:
Erhält der Versicherer Kenntnis von einem geltend gemachten Anspruch, so hat er diesen zunächst zu prüfen. Ist der Anspruch unbegründet, ist er abzuwehren; bei einem berechtigten Anspruch ist der Versicherer zur Zahlung bzw. Freistellung verpflichtet.
Damit diese Prüfung sachgerecht erfolgen kann, ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer alle relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen. Hintergrund der Aufklärungspflicht ist die gesetzgeberische Wertung/Vorstellung, dass der Versicherungsnehmer als vermeintlicher Schädiger den Schadenfall besser kennt als der Versicherer und der Versicherer daher auf ausreichende Informationen durch den Versicherungsnehmer angewiesen sei.
Das Gesetz verpflichtet den Versicherungsnehmer daher, dem Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls jede Auskunft zu erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist, § 31 Abs. 1 S. 1 VVG. Diese Pflicht ist in den Haftpflichtversicherungsbedingungen als Aufklärungsobliegenheit geregelt. Wird sie schuldhaft nicht oder nicht vollständig erfüllt, kann dies zum Verlust des Versicherungsschutzes führen.
2. Entscheidung über die Deckung
Hat der Versicherer alle notwendigen Informationen erhalten, ist er verpflichtet, dem Versicherungsnehmer rechtzeitig und eindeutig mitzuteilen, ob Versicherungsschutz besteht.[1]
Ist die Prüfung positiv, muss der Versicherer eine vorbehaltlose Zusage zu erteilen. Wird die Deckung verweigert, muss dies dem Versicherungsnehmer ebenfalls klar und frühzeitig mitgeteilt werden, damit dieser die Entscheidung ggf. gerichtlich überprüfen lassen kann.
3. Praxisproblem: Deckungszusage unter Vorbehalt
In der Praxis erleben Versicherungsnehmer häufig, dass die Versicherer keine endgültige Deckungsentscheidung treffen. Stattdessen wird ein vorläufiger Versicherungsschutz ausgesprochen, der unter dem Vorbehalt einer späteren Rückforderung steht – meist gestützt auf mögliche Ausschlusstatbestände, wie etwa wissentliche Pflichtverletzungen.
Der Versicherer erteilt sodann in der Regel zunächst eine Abwehrdeckung (Abwehr der geltend gemachten Haftungsansprüche) und behält sich die Rückforderung der vorfinanzierten Verteidigungskosten (Anwaltskosten) vor.
Diese Praxis kann in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, insbesondere, wenn zum Zeitpunkt der Anspruchserhebung noch keine vollständige Klärung des Sachverhalts möglich ist.
Manchmal erheben Geschädigte Schadenersatzklagen schneller, als der Haftpflichtversicherer Unterlagen in komplexen Schadenfällen prüfen kann. In solchen Situationen kann der Versicherer auch bei zügiger Bearbeitung zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch keine abschließende Aussage über den Versicherungsschutz treffen. Die Deckungszusage unter Vorbehalt der Rückforderung von Versicherungsleistungen (Verteidigungskosten) kann in solchen Fällen eine gerechtfertigte Reaktion des Versicherers sein.
Sobald dem Versicherer aber alle Informationen vorliegen, ist eine abschließende Entscheidung erforderlich. Geschieht dies nicht, verstößt der Versicherer gegen seine vertraglichen Pflichten.
3.1 Folgen für den Versicherungsnehmer
In der Praxis heben Haftpflichtversicherer mitunter den ursprünglich erklärten Vorbehalt über Jahre hinweg nicht auf, sondern begleiten den Haftpflichtprozess auf Seiten des Versicherungsnehmers unter Aufrechterhaltung einer unter Vorbehalt erklärten Deckungszusage.
Gleichzeitig verlangen Haftpflichtversicherer vom Versicherungsnehmer die Erfüllung sämtlicher Obliegenheiten, u.a. der Aufklärungsobliegenheit. Dieses Auskunftsrecht stünde dem Versicherer bei einer Deckungsablehnung dagegen nicht mehr zu.[2]
Bei vielen Versicherungsnehmern entsteht der Eindruck, dass der Haftpflichtversicherer die vertraglich vereinbarten Informationspflichten nicht allein dazu nutzt, um gemeinsam mit dem Versicherungsnehmer den geltend gemachten Anspruch abzuwehren. Vielmehr drängt sich in manchen Fällen der Verdacht auf, dass der Versicherer in Erwartung eines für den Versicherungsnehmer günstigen Haftungsprozesses bewusst auf eine endgültige Deckungsentscheidung verzichtet – um einen offenen Konflikt mit dem Versicherungsnehmer zu vermeiden. Kommt es dann jedoch zu einer Verurteilung des Versicherungsnehmers, nutzen Versicherer häufig genau jene Informationen, die sie im Verlauf des Verfahrens erhalten haben, um die Deckung im Nachhinein zu verweigern.
Verharrt der Versicherer hingegen in einer „Deckungszusage auf Zeit“ und nutzt diese, um über Jahre hinweg belastendes Material zu sammeln, das er später gegen den eigenen Kunden verwendet, macht er sich den Vertrag treuwidrig zunutze. In einem solchen Fall dürfte ihm nach diesseitiger Auffassung der Rückgriff auf etwaige Obliegenheitsverletzungen verwehrt sein.
3.2 Probleme beim Regress gegen Dritte
Ein weiteres Risiko bei der Zahlung von Versicherungsleistung unter Rückforderungsvorbehalt trifft den Versicherungsnehmer, wenn er zum Beispiel für einen Schaden einzustehen hat, den er nicht verschuldete und dem Versicherungsnehmer ein eigener Ersatzanspruch gegen den eigentlichen Schädiger zusteht. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund einer Gefährdungshaftung verschuldensunabhängig haftet (z.B. nach dem Produkthaftungsgesetz). Haftet z.B. ein Händler aufgrund eines Produktmangels für Schäden, die er nicht selbst verursacht hat, kann der Händler seinen Lieferanten (Hersteller, Importeur) in Regress nehmen, um die Kosten der Schadenregulierung zurückzuerhalten.
Stellt der Haftpflichtversicherer seinen Versicherungsnehmer von den berechtigten Schadenersatzansprüchen der Geschädigten frei, gehen die Regressansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Versicherer über, „soweit der Versicherer den Schaden ersetzt“.
Erbringt der VR seine Leistung aber unter Vorbehalt, kann der Vorbehalt des Versicherers der Erfüllung des Versicherungsanspruchs (und damit dem Forderungsübergang) entgegenstehen [3]. Folge des fehlenden Forderungsübergangs ist nicht nur, dass der Ersatzanspruch beim Versicherungsnehmer verbleibt. Beim Versicherungsnehmer verbleibt auch die in § 86 Abs. 2 VVG geregelte Obliegenheit, die Ersatzansprüche des Versicherers zu wahren. Die Obliegenheit kann den Versicherungsnehmer sogar dazu verpflichten, anspruchswahrende Maßnahmen – wie z.B. die Erhebung einer Klage zur Verjährungshemmung – einzuleiten, was mit nicht zu vernachlässigenden Rechtsverfolgungskosten verbunden sein kann.
Wer diese Kosten letztlich tragen muss, ist höchstrichterlich nicht geklärt und in der Literatur umstritten. Gegen eine Kostentragungspflicht des Versicherers soll nach einer Ansicht in der Literatur sprechen, dass der gesetzlichen Regelung § 86 Abs. 2 VVG innewohne, dass der Versicherungsnehmer die Kosten selbst zu tragen habe [4]. Dagegen wird zutreffend angeführt, dass dem Versicherungsnehmer in analoger Anwendung des § 83 VVG ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Versicherer zusteht, da durch die Regresswahrung in erster Linie die finanziellen Belastungen des Versicherers gemindert werden [5]. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit grob fahrlässig, kann dies zu einem vollständigen Verlust des Versicherungsanspruchs führen.
3.3 Nachteile des Vorbehalts für den Versicherer
Neben der Belastung des Verhältnisses zum Versicherungsnehmer kann eine Deckungszusage unter Rückforderungsvorbehalt weitere Risiken für den Versicherer bergen. Gelangt der Versicherer nach Abschluss des Haftungsverfahrens zu der Einschätzung, dass kein Versicherungsschutz bestand, wird er die Rückzahlung der zuvor übernommenen Verteidigungskosten vom Versicherungsnehmer verlangen. Solche Rückforderungsansprüche sind jedoch trotz Vorbehalts nicht immer durchzusetzen.
Rechtsgrundlage einer solchen Rückforderung ist § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach muss der Versicherer darlegen und beweisen, dass er die Leistung – in diesem Fall die Übernahme der Verteidigungskosten – ohne rechtlichen Grund erbracht hat. Dies setzt insbesondere den Nachweis voraus, dass kein Versicherungsfall im Sinne des Versicherungsvertrags vorlag [6].
Gelingt dem Versicherer dieser Nachweis im Rückforderungsprozess nicht, bleibt die Klage trotz Vorbehalt erfolglos und der Versicherer auf den Kosten sitzen.
4. Fazit
Eine Deckungszusage unter Vorbehalt kann in frühen Verfahrensstadien nachvollziehbar sein, sollte aber vom Versicherer mit fortschreitender Erkenntnislage überprüft werden. Hält er den Vorbehalt ohne erkennbaren Grund aufrecht, so sollte der Versicherungsnehmer den Versicherer zu einer endgültigen Entscheidung auffordern.
Versicherungsnehmern ist zu raten, sich bei solchen Vorbehalten rechtlich beraten zu lassen und Vorschüsse auf Verteidigungskosten zu verlangen – auch, um die Beweislast für eine spätere Rückforderung beim Versicherer zu belassen.
Autorin: Alicia Vedugo Morales
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis 06-2025, S. 23 ff.
Rechtsprechung und Literatur:
[1] BGH, Urteil vom 7. Februar 2007, Az. IV ZR 149/03
[2] BGH, Urteil vom 8. Januar 1981, Az. IVa ZR 60/80; BGH, Urteil vom 13. März 2013, Az. IV ZR 110/11; OLG Dresden, Urteil vom 18. April 2017, Az. 4 U 1564/16; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. Februar 2009, Az. 12 U 249/08; OLG Hamm, Urteil vom 12. Juni 1991, Az. 20 U 305/90; Felsch in HK-VVG VVG § 28 Rn. 47
[3] Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt/Harsdorf-Gebhardt Rn. 33-35; Prölss/Martin/Armbrüster VVG § 86 Rn. 40
[4] MüKoVVG/Segger § 86 Rn. 300, 303, 306
[5] Beckmann/Matusche-Beckmann VersR-HdB/Herdter § 47. Rn. 172-176; Elay VersR 2022, 1057; Lange D&O-Versicherung § 18. Rn. 135
[6] vgl. Münchner Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, § 3 Rn. 54-55
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