Herausforderungen bei der Regulierung von Flutschäden

Wetterextreme wie Hochwasser oder Starkregen nehmen an Anzahl und Intensität zu. Zuletzt zeigte das Jahrhunderthochwasser im Juli 2021, zu welch verheerenden Überschwemmungsschäden derartige Naturkatastrophen auch in Deutschland führen können. Allein die versicherten Schäden – ein Bruchteil des Gesamtschadens – betrugen mehrere Milliarden Euro. 

Versicherungsnehmer schließen die Elementarschadenversicherung oder den Zusatzbaustein „Elementarschäden“ in Gebäude- sowie Hausratversicherungen ab, um gegen Schäden an Gebäuden, Betriebsinhalten und Hausrat durch Überschwemmung versichert zu sein. Gerade die Flut 2021 zeigt jedoch, dass selbst Versicherungsnehmer mit einer Versicherung gegen Elementarschäden regelmäßig vor großen Herausforderungen bei der Regulierung ihres Schadenfalls stehen. Auf zwei immer wieder auftretende Probleme soll im Folgenden eingegangen werden.

1. Problem Wiederherstellung: Neubau oder Sanierung? 

In der Abwicklung von Überschwemmungsschäden kommt es häufig zum Streit darüber, ob ein Gebäude irreparabel beschädigt (zerstört) oder noch sanierungsfähig ist. Nach Flutkatastrophen zeigt die Erfahrung, dass Gebäude in ihrer Substanz so stark beeinträchtigt sind, dass eine Sanierung kaum sinnvoll möglich ist. Insbesondere Schäden durch Schimmel oder durch Heizölkontaminationen können dazu führen, dass Reparaturmaßnahmen nicht ausreichen, um das Gebäude wie vor dem Versicherungsfall in gleicher Art und Güte wiederherzustellen.

Beispiel: 

Der Versicherungsnehmer unterhält eine Wohngebäudeversicherung mit einer zusätzlichen Elementardeckung. Durch Starkregen kommt es zu einem Hochwasser des Flusses im Ort des versicherten Gebäudes. Zahlreiche Grundstücke und Gebäude werden überflutet und aus mehreren Heizöltanks dringen hunderte Liter Heizöl aus. 

Das Hochwasser führt auch zur Überschwemmung des Grundstücks des Versicherungsnehmers und trägt Öl in das versicherte Gebäude ein. Die dünnflüssige Substanz zieht in Baustoffe der Böden und die Wände. Da Heizöl auf dem Wasser schwimmt, kommt es aufgrund des hohen Wasserstands zu einer erheblichen Kontamination bis in den 1. Stock des Gebäudes. 

Interessenkollision zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer

Der Versicherer ist der Ansicht, dass das Gebäude sanierungsfähig ist und die Schäden am Gebäude durch Reparaturmaßnahmen behebbar sind. Er stützt sich dabei auf eine Einschätzung seines Parteigutachters, der verschiedene Maßnahmen zur Beseitigung der Ölkontamination empfiehlt. Für den Versicherer hat die Sanierung häufig den Vorteil, kostengünstiger als ein Neubau zu sein.

Der Versicherungsnehmer ist jedoch unsicher, ob die Maßnahmen tatsächlich erfolgreich und wirtschaftlich sinnvoll durchführbar sind. Ein erprobtes und zugleich verlässlich erfolgreiches Verfahren zur Beseitigung einer Heizölkontamination gibt es nicht. Auch monatelange Sanierungsversuche könnten also erfolglos bleiben. Den Versicherungsnehmer treibt insbesondere die Sorge um, dass auch nach einer Sanierung noch eine Gesundheitsgefahr für die Bewohner bestehen könnte. Zudem befürchtet er einen Wertverlust des Gebäudes bei einem möglichen zukünftigen Verkauf.

Hintergrund: Was ist zu entschädigen? 

Für die Ermittlung der geschuldeten Entschädigungsleistung aus dem Versicherungsvertrag ist entscheidend, ob vom Schaden betroffene Sachen zerstört oder beschädigt sind. Die Versicherungsbedingungen enthalten für beide Fälle unterschiedliche Entschädigungsregelungen. In den Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung richtet sich die Entschädigung nach den mit dem Versicherungsnehmer vereinbarten Versicherungswerten, wobei heute ganz vorwiegend der gleitende Neuwert vereinbart ist. 

So heißt es in den Musterbedingungen der allgemeinen Wohngebäudeversicherung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. („GDV“) unter§ A 18 VGB:

„Der Versicherer ersetzt

  • bei zerstörten oder infolge eines Versicherungsfalls abhanden gekommene Sachen den Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls.

     

  • bei beschädigten Gebäuden oder sonstigen beschädigten Sachen notwendigen Reparaturkosten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls. Der Versicherer ersetzt außerdem eine Wertminderung, die durch die Reparatur nicht ausgeglichen wird. Ersetzt wird aber höchstens der Versicherungswert zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles.“

In den GDV Musterbedingungen heißt es zum gleitenden Neuwert entsprechend unter § A. 14 VGB:

Der Versicherungswert von Gebäuden ist der Neuwert. Neuwert ist der Betrag, der aufzuwenden ist, um die Sachen gleicher Art und Güte in neuwertigem Zustand herzustellen. Maßgeblich ist der ortübliche Neubauwert einschließlich Architektengebühren sowie sonstigen Konstruktion- und Planungskosten“. 

Wann nun eine Sache zerstört oder beschädigt ist, definieren die Versicherungsbedingungen nicht näher. Diese Lücke in den Bedingungen macht es zu einer Auslegungsfrage, wann das Gebäude nun als zerstört zu bewerten ist und der Versicherungsnehmer den Versicherungswert erhält und wann das Gebäude noch sanierungsfähig ist und der Versicherungsnehmer notwendige Reparaturkosten entschädigt bekommt.

Zerstört oder beschädigt? Eine Frage des Einzelfalls 

Wann die versicherte Sache als zerstört oder beschädigt zu betrachten ist, ist also eine Frage des Einzelfalls. 

Die Zerstörung des Gebäudes (Totalschaden) liegt dann vor, wenn der Schaden am Gebäude sich nicht durch einzelne Reparaturen so beseitigen lässt, dass das Gebäude in gleicher Art und Güte wie vor dem Versicherungsfall wiederhergestellt werden kann. 

Der Versicherer hat im Versicherungsfall grundsätzlich diejenigen Aufwendungen zu ersetzen, die ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Betroffener in seiner Lage tätigen würde, um die versicherte Sache wieder fachgerecht herzustellen.[1] 

Eine Zerstörung eines Gebäudes liegt dabei unstrittig dann vor, wenn eine Reparatur technisch nicht durchführbar ist oder keine Reste vorhanden sind, die für einen Wiederaufbau verwendet werden können (sog. technischer Totalschaden). Das Gebäude ist dann nicht reparaturfähig.  

Reparaturfähig nicht gleich reparaturwürdig

Die Reparaturfähigkeit einer Sache allein ist aber nicht dafür entscheidend, ob eine Zerstörung oder Beschädigung im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliegt. Vielmehr muss eine Reparatur auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Deshalb ist es für die Feststellung eines Teil- oder Totalschadens neben der Reparaturfähigkeit von Bedeutung, ob die Sache wirtschaftlich noch reparaturwürdig ist.

Eine Zerstörung des Gebäudes liegt also auch dann vor, wenn eine Reparatur wirtschaftlich sinnlos und unrentabel ist. Das Gebäude ist dann als reparaturunwürdig zu verstehen. Unzweifelhaft ist das der Fall, wenn die Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Wertminderung größer oder gleich sind als die zu ersetzenden Wiederbeschaffungskosten (hier: Neuwert) abzüglich des Restwertes der beschädigten Sache.[2] 

Im Bereich der Neuwertversicherung wird auch diskutiert, ob ein Totalschaden dann vorliegt, wenn die Reparaturkosten des Gebäudes zwar niedriger sind als der Versicherungswert (Neuwert) abzüglich des Wertes der verwertbaren Reste des Gebäudes, aber jedenfalls höher sind als der Zeitwert der Sache. 

Ein Gebäude ist nach überzeugender Auffassung einiger Literaturstimmen auch dann zerstört, wenn der Reparaturaufwand höher ist als der Zeitwert der Sache nach der Reparatur, so dass eine Reparatur wirtschaftlich unrentabel ist (sog. wirtschaftlicher Totalschaden). Ein wirtschaftlich vernünftig handelnder nichtversicherter Betroffener sieht das Gebäude in diesem Fall als reparaturunwürdig an. Er wird bei einem wirtschaftlichen Totalschaden das Risiko einer Reparatur des Gebäudes nicht eingehen, sondern stattdessen sogleich das Gebäude bzw. einen Gebäudeteil abreißen und neu bauen.[3]

Vollständige Gebrauchsfähigkeit muss wiederhergestellt sein

Bei der Bewertung der Reparaturwürdigkeit eines mit Heizöl kontaminierten Hauses ist auch zu berücksichtigen, ob die angestrebten Reparaturmaßnahmen das geschädigte Gebäude so wiederherstellen, dass der Versicherungsnehmer die Nutzung des Gebäudes wie vor dem Versicherungsfall wiederaufnehmen kann. 

Eine Wiederherstellung des Gebäudes bzw. der betroffenen Gebäudebestandteile ist erst bewirkt, wenn die Sache hinsichtlich Gebrauchs- bzw. Funktionsfähigkeit, Bewohnbarkeit (bei Wohngebäuden) oder Betriebssicherheit (bei Betriebsgebäuden) vollständig in dem Zustand wiederhergestellt ist, in dem sie sich unmittelbar vor dem Eintritt des Versicherungsfalls befand.[4] 

Der Versicherungsnehmer hat einen Anspruch darauf, dass Gebäude so wiederherstellen zu können, dass er sein Wohngebäude als Wohnraum dauerhaft und ohne Nachteile wie zuvor nutzen kann. Die Funktions- oder Gebrauchsfähigkeit des Wohngebäudes (Bewohnbarkeit) ist also nur wiederhergestellt, wenn unter anderem die Wiederherstellungsmaßnahmen jegliche Kontamination soweit beseitigen, dass eine Gesundheitsgefährdung vollständig ausgeschlossen ist. 

Als Konsequenz folgt, dass ein Gebäude auch dann zerstört ist, wenn eine Reparatur für den Versicherungsnehmer unzumutbar ist, weil erhebliche Nachteile durch die Reparatur für den Versicherungsnehmer verbleiben. Denn diese Nachteile würde ein wirtschaftlich vernünftiger und nicht versicherter Geschädigter anstelle des Versicherungsnehmers auch nicht in Kauf nehmen.[5] 

Nicht jeder Sanierungsversuch ist für den Versicherungsnehmer zumutbar 

Der Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, Sanierungsversuche zu unternehmen, die für ihn unzumutbar sind. 

Die Wohnung ist der räumliche Bereich der persönlichen Lebensführung. Das Interesse des Versicherungsnehmers an einer baldmöglichsten Rückkehr in seine Wohnung ist angemessen zu berücksichtigen. Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer den Betrag für den schnellsten, sichersten und zumutbarsten Reparaturweg zu ersetzen.[6] Dabei sind die Aufwendungen zu erstatten, die ein wirtschaftlich vernünftig Handelnder in der Position des Versicherungsnehmers vornehmen würde, um die beschädigte Sache wieder fachlich herzustellen. 

Nicht zumutbar ist ein Reparaturversuch deshalb dann, wenn er nicht hinreichend erfolgversprechend, nicht sicher durchführbar oder mit sonstigen erheblichen Nachteilen für den Versicherungsnehmer verbunden ist, die auch ein Dritter nicht hinnehmen würde.[7] Offensichtlich aussichtslose Reparaturvorschläge darf der Versicherungsnehmer ablehnen (zu deren Durchführung besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungsobliegenheit, § 82 Abs. 1 VVG, keine Pflicht). 

Erhält der Versicherungsnehmer vom Versicherer Reparaturvorschläge mit ungewisser Erfolgsaussicht, sollte der Versicherungsnehmer die Zahlung eines Vorschusses gemäß § 83 Abs. 1 S. 2 VVG verlangen oder auf eine förmliche Weisung und Kostendeckungszusage des Versicherers bestehen. Denn der Versicherungsnehmer befindet sich insoweit in einer unangenehmen Lage. Der Versicherer muss nämlich grundsätzlich die Kosten erfolgloser und damit entbehrlicher Reparaturversuche nicht erstatten, weil er nach dem Vertrag nur die erforderlichen Kosten der Wiederherstellung tragen muss. Der Versicherer kann aber nicht erfolgreich die Kostenerstattung für einen selbst angewiesenen oder durch den Sachverständigen des Versicherers vorgeschlagenen Reparaturversuch verweigern.[8] 

Eigene Experten hinzuziehen

Abhängig von der Belastung durch Heizöl in der Bausubstanz können Reinigungsmaßnahmen oder oberflächliche physikalische Verfahren nur bedingt wirksam sein. Bei tief in die Bausubstanz eingedrungenem Heizöl stellen oft nur der Bauteilaustausch oder der komplette Rückbau und Abriss sowie Neubau des Gebäudes bzw. Gebäudeteils eine Wiederherstellungsmaßnahme dar, die eine Wiederaufnahme der Nutzung wie vor dem Versicherungsfall ermöglicht.

Wenn der Versicherungsnehmer begründete Zweifel an den vom Versicherer angedachten Reparaturmaßnahmen hat, sollte er auf externen Rat durch Fachunternehmen oder Sachverständige zurückgreifen. Unabhängige Dritte können beurteilen, ob die vorgesehenen Maßnahmen technisch überhaupt durchführbar sind und einen dauerhaften Sanierungserfolg versprechen. Ratsam ist auch die Beteiligung von Bausachverständigen und – je nach Schadenbild – Bauchemikern, Biologen oder Statikern. 

Erst nach externer Begutachtung und Kostenabschätzung können die Parteien bewerten, ob eine Reparatur wirtschaftlich sinnvoll ist.

2. Problem langwierige Schadenregulierung: Wie viel Zeit darf sich der Versicherer lassen?

Der Versicherungsnehmer steht im Zusammenhang mit seinem Überschwemmungsschaden oftmals unter Zeitdruck. Unternehmen möchten ihren Betrieb schnellstmöglich wieder aufnehmen, um keine Kunden zu verlieren; Bewohner möchten aus Hotels oder Notunterkünften zurück in ihre Häuser. Auch hier zeigt die Flutkatastrophe 2021 leider: Häufig vertröstet der Versicherer den Versicherungsnehmer trotz Zusicherung einer schnellen Bearbeitung über Monate hinweg, bis er eine Beurteilung zu dem Schadenfall trifft und seine Prüfung des Versicherungsfalls beendet. Ein Abschluss der Wiederherstellung ist auch deshalb oft erst nach Jahren möglich. 

Im Zuge dessen stehen die folgenden Fragen aus Sicht des Versicherungsnehmers im Raum: 

Wer ist zur Schadenfeststellung verpflichtet?

Der Versicherungsnehmer muss grundsätzlich keine Feststellungen zum Schaden treffen. Die Feststellungen zum Eintritt des Versicherungsfalls und zum Umfang der Leistungspflicht obliegen dem Versicherer. Dies folgt mittelbar aus den gesetzlichen Regelungen gemäß § 14 VVG (Fälligkeit des Versicherungsanspruchs) und § 85 VVG (keine Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten des Versicherungsnehmers) sowie der Rechtsprechung des BGH.[9]

Der Versicherungsnehmer kann einen Anspruch auf Versicherungsleistungen gegen den Versicherer erst geltend machen, wenn dieser fällig ist. Grundsätzlich setzt Fälligkeit nach § 14 VVG voraus, dass der Versicherer seine „notwendigen Erhebungen“ zum Versicherungsfall und zur Feststellung des Umfangs der Leistungspflicht beendet hat. 

Wie viel Zeit muss dem Versicherer für seine Einhebungen eingeräumt werden?

Für die Länge der Prüfungsfrist des Versicherers gibt es leider keine festen und starren Regeln. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Instanzgerichte bemessen die Frist zur Schadensprüfung nicht einheitlich. 

Der Versicherer hat aber unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots die Prüfung des Schadens tunlichst zu beschleunigen und zügig abzuschließen. Vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots muss der Versicherer die Schadenfallprüfung in der Regel innerhalb von vier Wochen nach Schadenmeldung abschließen. In komplexen Schadenfällen darf die Schadensprüfung einschließlich Überlegungsdauer im Regelfall nicht länger als drei Monate beanspruchen.[10]

Kommt der Versicherer innerhalb der angemessenen Frist seiner Regulierungspflicht des einzelnen Schadenfalls nicht nach, ist der Zahlungsanspruch gegen den Versicherer in dem Zeitpunkt fällig, in dem die Erhebungen zum Schadenfall bei korrektem Vorgehen – also bei ordnungsgemäßer, zügiger und sachdienlicher Ermittlung – beendet gewesen wären.[11] 

Wann schuldet der Versicherer Abschlagzahlung?

Wenn der Versicherer länger als einen Monat seit Anzeige des Schadensfalls den Fall begutachtet und seine Erhebungen nicht beendet, kann der Versicherungsnehmer gemäß § 14 Absatz 2 VVG Abschlagzahlungen verlangen, sofern die Eintrittspflicht des Versicherers dem Grunde nach feststeht. Der Abschlag beträgt die Summe, die der Versicherer voraussichtlich mindestens zu zahlen hat.

Der Versicherer zahlt grundsätzlich nicht unaufgefordert einen Abschlagzahlung. Ratsam ist daher, spätestens einen Monat nach der Schadenmeldung vom Versicherer Abschlagzahlungen zu fordern.

Haftet der Versicherer bei vertragswidriger Regulierung? 

Fordert der Versicherungsnehmer berechtigterweise fällige Abschlagzahlungen ein und erfüllt der Versicherer die Forderung nicht bzw. nur zum Teil, hat der Versicherer haftungsrechtlich dafür einzustehen, wenn dem Versicherungsnehmer wegen vorenthaltener Abschlagzahlungen ein Schaden entsteht, weil beispielsweise die Wiederherstellungsarbeiten des Gebäudes dadurch nicht oder nur zeitverzögert durchgeführt werden können. 

Ebenso befindet sich der Versicherer in Verzug und schuldet Verzugszinsen und Schadensersatz (§286 BGB), wenn der Versicherer objektive, falsche oder unnötige bzw. nicht sachdienliche oder zögerliche Erhebungen anstellt und dadurch der Abschluss der Feststellungen zum Versicherungsfall hinausgeschoben wird. Zudem kann ein eventueller Verzögerungsschaden für mangelhafte Schadenerhebung, die gemäß § 241 Abs. 2 BGB eine Verletzung von leistungsbezogenen Nebenpflichten darstellt, auch unmittelbar aus § 280 Abs. 1 BGB beansprucht werden.[12] 

Der Schadensersatz umfasst dabei die Entschädigung der Kosten die durch eine Verzögerung der Wiederherstellung des Gebäudes drohen, etwa durch Preissteigerungen bei Baumaterial. 

3. Fazit

Nach Überschwemmungs- und Flutschäden versprechen Versicherer häufig zunächst eine schnelle und unbürokratische Schadenregulierung. Die anschließende Praxis sieht dann jedoch oft anders aus. Streit entbrennt nicht selten über der Frage, inwieweit ein Gebäude nur reparaturfähig beschädigt oder unwiederbringlich zerstört ist. 

Versicherer stellen in dieser Situation häufig auf die rein technische Wiederherstellungsmöglichkeit ab. Ob eine Sanierung aus wirtschaftlichen und weiteren Gründen sinnvoll ist oder nicht, spielt bei dieser Betrachtungsweise oft eine untergeordnete Rolle. Entsprechend regelmäßig kommen Schadenregulierer der Versicherer nach Hochwasserschäden zu dem Ergebnis, dass zunächst jede technisch denkbare Sanierung einem Neubau vorzuziehen sei. Gerade bei komplexen Kontaminationsschäden, bei denen auch eine mögliche spätere Gesundheitsgefährdung im Raum steht, sollte der Versicherungsnehmer nicht unwidersprochen experimentelle oder in ihrer Wirksamkeit höchst zweifelhafte Sanierungsversuche akzeptieren, sondern eigenen Expertenrat einholen.

Bei absehbar längerer Schadenregulierung sollte der Versicherungsnehmer einen Monat nach Schadensmeldung Abschlagzahlungen fordern. Die Aufforderung zur Abschlagzahlung sollte der Versicherungsnehmer dokumentieren. Dringend abzuraten ist von der Unterzeichnung von Vereinbarungen zur endgültigen Abfindung des Anspruchs im Gegenzug für eine schnelle Zahlung einer Leistung. 

Bei langwieriger Schadenregulierung ist es zudem ratsam, einen Rechtsanwalt für Versicherungsrecht einzuschalten, um zu prüfen, ob der Versicherungsnehmer wegen vorenthaltener Abschlagzahlungen oder vertragswidriger, zögerlicher Schadensregulierung, fällige Versicherungsleistungen geltend machen kann oder auch Schadensersatzansprüche gegen den Versicherer in Betracht kommen. 

Autorin: Valerie Steinwachs

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis 05/2022
 

[1] BGH, Urteil vom 11.11.2015 – IV ZR 426/14 = NJW 2016, 314

[2] Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG; Vorbemerkung § 74 Rn. 79 

[3] Martin, R I, Rn. 14-17

[4] BGH, Urteil vom 11.11.2015, VersR 2016, 45ff; Schepers: in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 35 Rn. 318

[5] Martin, R I, Rn. 20-28; Gierschek in: Dietz/Fischer/Gierschek, § 13 A Rn. 11; Hoenicke in: Veith/Gräfe/Gebert, § 4 Rn. 146

[6] BGH Urteil vom 30.1.1985, VersR 1985, 354; OLG Saarbücken, Urteil vom 15.3.2017, VersR 2018, 873; Martin, R III, Rn. 9

[7] Gierschek in: Dietz/Fischer/Gierschek, § 13 A Rn. 11; Hoenicke in: Veith/Gräfe/Gebert, § 4 Rn. 146; Martin, R I, Rn. 20-28

[8] Es dürfte insoweit eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB vorliegen (venire contra factum proprium).

[9] VersR 1982,482

[10] OLG Frankfurt, VersR 2018, 928, 929 mit einer Rechtsprechungsübersicht

[11] Armbrüster in: Prölss/Martin, § 14 VVG Rn. 21

[12] Fausten in: Langheid/Wandt, MüKo, VVG § 14 Rn. 68

 

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