Irrweg: Claims made-Prinzip ohne Nachhaftung 

Schlechte Schadenquoten in den letzten Jahren, Corona-Krise und ein sich abzeichnender starker Anstieg von Unternehmensinsolvenzen haben zu einer explosiven Gemengelage auf dem deutschen D&O-Markt geführt. Die Unternehmen sehen sich in den Renewals einer Mischung aus stark ansteigenden Prämien, sinkenden Kapazitäten und einem fallenden Deckungsniveau auf Bedingungsseite ausgesetzt. 

Auf der Haftpflichttagung des Euroforums im Januar diesen Jahres vernahm man von Seiten der AIG, einem der selbsternannten Marktführer in der D&O-Sparte in Deutschland, dass der Versicherer zukünftig – einzelfallabhängig – Nachmeldefristen streichen oder verfallen lassen werde und das Insolvenzrisiko ggf. aus den Verträgen ausschließen wolle.[1] Außerdem gebe es – ebenfalls einzelfallabhängig – ggf. keine automatische Rückwärtsdeckung für neu dazugekaufte Tochterfirmen und die Anzeigepflicht der Kunden bei Gefahrhöhung etwa durch Zukäufe, Fusionen oder Insolvenzen werde ausgeweitet[2].

Das komplette Streichen der Nachmeldefrist oder sonstige Entfallenlassen der Nachmeldefrist im Insolvenzfall bzw. der Wegfall der Nachmeldefrist bei Abschluss einer Nachfolge-D&O-Police rückt eine eigentlich schon fast vergessene Frage wieder in den Mittelpunkt: Ist das aus dem anglo-amerikanischen Versicherungsmarkt nach Deutschland importierte Claims made- oder Anspruchserhebungsprinzip mit dem deutschen Versicherungsrecht vereinbar und was sind die Kriterien für seine Zulässigkeit?

Die folgenden Ausführungen sollen klären, ob eine – wie von der AIG angekündigte Deckungsbeschränkung – überhaupt rechtlich zulässig wäre bzw. was die Konsequenzen eines solchen Vorgehens sein könnten.

1. Funktionsweise der D&O Versicherung

Die D&O-Versicherung ist eine (Berufs-)Haftpflichtversicherung für Manager, Geschäftsführer, Aufsichtsräte etc. (=die Versicherten), die das Unternehmen für fremde Rechnung – also für die Versicherten – abschließt. Zeigt das Unternehmen oder ein Versicherter einen Versicherungsfall unter der D&O-Versicherung an, muss geklärt werden, ob überhaupt eine Haftung des Versicherten gegenüber dem mutmaßlich Geschädigten, häufig dem Unternehmen selbst, besteht. 

Hält der D&O-Versicherer den gegen einen Versicherten geltend gemachten Haftpflichtanspruch für unbegründet, gewährt er dem Versicherten – ähnlich einem Rechtsschutzversicherer – Abwehrdeckung. Der Versicherer erstattet dann die Rechtsanwalts-, Sachverständigen- und Gerichtskosten, die zur Abwehr des Anspruchs notwendig sind. Erst wenn die Frage der Haftung des Versicherten (ggf. durch rechtskräftiges Urteil) geklärt ist, stellt sich die Frage nach der Deckung, also nach der Freistellung des Versicherten von den Haftpflichtansprüchen des Geschädigten durch den D&O-Versicherer.

In der D&O-Versicherung in Deutschland tritt der Versicherungsfall ganz überwiegend mit der schriftlichen Inanspruchnahme der versicherten Person durch den Geschädigten (Unternehmen oder Dritten) ein. So heißt es in den Musterbedingungen des GDV zur D&O-Versicherung[3] unter Ziffer A-2 AVB D&O exemplarisch:

„Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages oder einer sich ggf. hieran an-schließenden Nachmeldefrist.“

1.1 Auseinanderfallen der Zeitpunkte von Pflichtverletzung und Inanspruchnahme

Der Nachteil des Claims Made-Prinzip liegt darin, dass es auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftpflichtansprüche ankommt, die während der Versicherungszeit erhoben werden. Somit sind grundsätzlich alle Ansprüche augeschlossen, die erst nach der Ablauf der Versicherungsperiode geltend gemacht werden. Als Konsequenz besteht im Grundsatz kein Versicherungsanspruch für Haftpflichtansprüche, denen während der Vertragslaufzeit begangene Pflichtverletzungen zu Grunde liegen, bei denen der Vertrag zum Zeitpunkt der Anspruchserhebung aber bereits beendet ist. 

1.2 Kein Versicherungsschutz für bekannte Pflichtverletzungen 

Diese dem Claims Made-Prinzip innewohnende Problem wirkt sich auch beim Abschluss einer nachfolgenden neuen D&O-Police bei einem anderen Versicherer aus. Wenn ein Unternehmen eine neue D&O-Versicherung abschließt, sind grundsätzlich Anspruchserhebungen während der (neuen) Versicherungsperiode gedeckt. Für den Eintritt des Versicherungsfalls kommt es nicht darauf an, wann die versicherte Person die Pflichtverletzung beging, und ob die Pflichtverletzung vor dem Versicherungsbeginn lag. Entscheidend ist ja eigentlich nur, wann es zur Anspruchserhebung kommt.

Dieser Konsequenz des Claims Made-Prinzips stehen jedoch Deckungseinschränkungen entgegen, die den Versicherungsschutz für bekannte (eigentlich gedeckte) Pflichtverletzungen in der vorangegangenen Versicherungsperiode ausschließen. Als bekannt gilt eine Pflichtverletzung bspw. gemäß Ziffer A-5-2 AVB D&O, wenn

„sie von dem Versicherungsnehmer oder der (den) versicherten Person(en) als – wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen gegenüber, wenn auch nur bedingt, als fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadenersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind.“

Die Hürde, dass eine Pflichtverletzung in der vorangegangenen Periode als bekannt gilt, liegt also nicht sonderlich hoch. Eine solche Definition der Kenntnis hebt die unbegrenzte Rückwärtsdeckung zu großen Teilen wieder auf, da nicht nachvollziehbar ist, ob und für welche Pflichtverletzungen in der Vergangenheit hier überhaupt noch Versicherungsschutz besteht. Insbesondere, wenn im Unternehmen bereits über Sachverhalte gesprochen wird oder Sachverhalte untersucht werden, dürfte die Schwelle „möglicherweise“ als „objektiv fehlsam erkannt“ oder als „fehlsam bezeichnet“, „auch wenn Schadenersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind“ regelmäßig überschritten sein. 

1.3 Nachmeldefrist und Umstandsmeldung als Ausgleich des Claims Made-Prinzips

Um dem Problem, das sich aus der Definition des Versicherungsfalls als „Inanspruchnahme“ ergibt, zu begegnen, sehen D&O-Versicherungen zudem regelmäßig Nachmeldefristen vor, die bspw. wie Ziffer A-5-3 AVB D&O lauten: 

„Der Versicherungsschutz umfasst auch solche Ansprüche, die auf Pflichtverletzungen beruhen, die bis zum Ende des Versicherungsvertrages begangen und innerhalb eines Zeitraums von ... Jahren nach Ende des Versicherungsvertrages erhoben und dem Versicherer gemeldet worden sind.“

Versicherungsschutz besteht dann für die gesamte Nachmeldefrist im Rahmen der bei Ablauf der letzten Versicherungsperiode geltenden Vertragsbestimmungen, und zwar in Höhe des unverbrauchten Teils der Versicherungssumme der letzten Versicherungsperiode, A-5-3 Abs. 4 AVB D&O.

Zudem sehen D&O-Versicherungen regelmäßig die Möglichkeit vor, Umstandsmeldungen (Notice of Circumstance) während der Vertragslaufzeit über konkrete Umstände abzugeben, die zu einer späteren Inanspruchnahme des Managers führen könnten. So heißt es bspw. in Ziffer A-5.4 AVB D&O:

„Der Versicherungsnehmer und die versicherten Personen haben die Möglichkeit, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrages konkrete Umstände in Textform zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.“

Konsequenz einer wirksamen Umstandsmeldung ist, dass im Fall einer tatsächlichen späteren Inanspruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten Umstandes erfolgt, die Inanspruchnahme als zu dem Zeitpunkt der Meldung des Umstandes als erfolgt gilt. Der Eintritt des Versicherungsfalles wird also zeitlich zurück (auf den Zeitpunkt der Umstandsmeldung) fingiert. 

2. Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Claims Made-Prinzips

Das Claims Made-Prinzip und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen waren in den vergangenen 15 Jahren Gegenstand einiger OLG-Entscheidungen.[4] 

Den Maßstab für die Prüfung der AGB-rechtlichen Zulässigkeit des Claims Made-Prinzips (nach dem sich auch in späterem Entscheidungen das OLG Frankfurt und OLG Hamburg richtete) stellte das OLG München in seinem Urteil vom 8. Mai 2009 auf.

2.1 Keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB

Das Gericht untersuchte zunächst, ob die Vereinbarung des Claims Made-Prinzips eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB darstellen kann.[5] Gemäß § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. 

Das OLG München[6] verneinte eine überraschende Klausel und stellte darauf ab, dass

„es sich bei der D&O-Versicherung um ein besonderes Produkt aus dem Bereich der Haftpflichtversicherungen handelt, das für ganz bestimmte Risiken entwickelt und auf dem deutschen Markt und nur auf Grundlage des Claims-made-Prinzips angeboten wird.“

Daher könne nicht

„auf den Erwartungshorizont eines durchschnittlichen VN abgestellt werden, der eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen will. Vielmehr ist auf den Erwartungshorizont eines typischen VN abzustellen, der im speziellen Segment der Berufshaftpflichtversicherung für Unternehmensleiter Versicherungsschutz erlangen will.“[7]

2.2 Unangemessene Benachteiligung durch Claims Made-Prinzip fraglich

Das OLG München untersuchte weiter, ob die Claims Made-Klauseln im entschiedenen Fall, eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung des Klägers gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB darstellen könnten.

Das Gericht stellte fest, dass das Claims Made-Prinzip für den Versicherungsnehmer einen erheblichen Nachteil aufweise, wenn während der Vertragslaufzeit begangene, zu einem Schadensersatzanspruch führende Pflichtverletzungen nur dann gedeckt seien, wenn die hierauf beruhenden Ansprüche noch während der Vertragslaufzeit geltend gemacht werden. Gerade bei Ansprüchen gegen Unternehmensleitern seien die Folgen häufig erst später erkennbar, so dass der Nachteil des Claims Made-Prinzips – ohne Kompensation – zu einer Unangemessenheit der Klausel führen könne.[8]

Die Kompensation der unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers tritt nach Ansicht des Gerichts durch

  • die unbegrenzte Rückwärtsversicherung für (unbekannte) Pflichtverletzungen,
  • die vereinbarte Nachhaftungszeit und
  • die Möglichkeit einer Umstandsmeldung

ein. So heißt es im zweiten Leitsatz dieses Urteils:

„Die grundsätzlichen Nachteile des claims-made Prinzips werden durch die Regelungen über die unbegrenzte Rückwärtsversicherung, die vereinbarte Nachhaftungszeit und die Möglichkeit einer Umstandsmeldung bei Vertragsbeendigung durch Kündigung des Versicherers ausreichend kompensiert, so dass die Klauseln einer gem. § 307 BGB vorzunehmenden Inhaltskontrolle standhalten.“ 

Unbegrenzte Rückwärtsdeckung eigentlich keine Kompensation

Dogmatisch etwas fragwürdig an diesen Ausführungen ist, dass die unbegrenzte Rückwärtsdeckung für unbekannte Pflichtverletzungen als Kompensation für das Claims Made-Prinzips hervorgehoben wird. Denn eigentlich ist es ein Wesensmerkmal des Claims Made-Prinzip, dass es auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme und nicht der Pflichtverletzung ankommt, so dass eigentlich ohnehin alle in der Vergangenheit liegenden Pflichtverletzungen gedeckt sein müssten (da es auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung nicht ankommt). Die – vom OLG München hervorgehobene – unbegrenzte Rückwärtsversicherung für unbekannte Pflichtverletzungen ist also eigentlich keine Kompensation des Claims Made-Prinzips, sondern eine zusätzliche Deckungseinschränkung für bekannte Pflichtverletzungen unter der neuen D&O-Police, vgl. oben 2.2. 

Kompensation durch Nachmeldefrist und Umstandsmeldung

Zutreffen an der Rechtsprechung des OLG München ist, dass eine Kompensation der Nachteile des Claims Made-Prinzips durch die Umstandsmeldung und insbesondere durch eine Nachmeldefrist erreicht werden kann. Zur Nachmeldefrist führt das OLG München aus[9]: 

„Diese Nachmeldefrist stellt eine erhebliche Abmilderung der Folgen des reinen Claims-made-Prinzips dar. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Pflichtverletzungen in dem versicherten Bereich nicht oder oft nicht zeitnah zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen führen. Zu Recht weist das LG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bekl. dem Kl. damit weiteren Versicherungsschutz einräumt, der - wäre das reine Verstoßprinzip anwendbar - so nicht bestünde. Gerade auch deswegen, weil diese Nachmeldefrist alle Pflichtverletzungen erfasst, unabhängig davon, wie weit diese zurückliegen, stellt sie einen nicht unerheblichen Vorteil dar.“

3. Auswirkungen der derzeitigen Leistungskürzungen 

Legt man diese Grundsätze der OLG-Rechtsprechung zu Grunde, so erscheinen die oben ausgeführten Äußerungen der AIG, Nachmeldefristen zu streichen oder verfallen zu lassen werde bzw. der Ausschluss des Insolvenzrisikos aus Verträgen problematisch.

Eine Streichung der Nachmeldefrist in der D&O-Versicherung würde dazu führen, dass zur Kompensation der unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers nicht mehr viel übrig bliebe. Denn – wie oben ausgeführt – führt die unbegrenzte Rückwärtsdeckung für unbekannte Pflichtverletzungen eigentlich nicht zu einer Kompensation des Claims Made-Prinzips, sondern ist eine logische Konsequenz desselben. Streicht man also die Nachmeldefrist, verbleibt eigentlich nur noch die Umstandsmeldung, um eine Kompensation im Sinne der o.g. OLG-Rechtsprechung zu erreichen. Dies allein dürfte vermutlich nicht ausreichen, um den Grundsätzen des OLG München zu genügen. 

Auch ein Ausschluss der Nachhaftung im Insolvenzfall könnte postwendet zu einer unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB führen.

Das OLG Hamburg nahm eine AGB-rechtswidrige unangemessene Benachteiligung an, wenn die dreijährige Nachmeldefrist für den Fall der Insolvenzantragstellung der Gesellschaft vollständig vertraglich ausgeschlossen wird, und führte aus:[10]

„Der Senat folgt insoweit der Auffassung der Oberlandesgerichte München und Frankfurt, dass die mit dem vorliegend in § 1 Ziffer 2.2 der VersBedingungen zugrunde gelegten sog. „Claims-Made-Prinzip“ verbundenen Nachteile nur dann keine unangemessene Benachteiligung i. S. des § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB darstellen und mithin nicht zur Unwirksamkeit entsprechender VersBedingungen führen, sofern sie unter anderem durch eine Nachhaftungsregelung kompensiert werden (…). Gemessen hieran ist der vollständige Ausschluss einer Nachmeldefrist gerade für den für die Organe einer Kapitalgesellschaft regelmäßig mit erheblichen Haftungsrisiken verbundenen Fall der Insolvenzantragstellung nicht wirksam.“ [Hervorhebung diesseits] 

Von dieser Konstellation (Entfallen der Nachhaftung im Insolvenzfall) ist die Konstellation, in der der Versicherer ein gesamtes Risiko ausschließen will. Der von AIG angekündigte Ausschluss des Insolvenzrisikos in einigen Verträgen betrifft daher weniger die Frage der AGB-Rechtswidrigkeit des Claims Made-Prinzips. Vielmehr dürfte hier die Frage betroffen sein, ob ein Versicherungsprodukt, bei dem ein wesentliches Risiko (Inanspruchnahme aus Insolvenzrisiken) von vornherein ausgeschlossen ist, für den Versicherungsnehmer noch sinnhaft ist bzw. ob der Versicherungsnehmer damit den Erfordernissen der „Verschaffungsklauseln“ in den Anstellungsverträgen mit den eigenen Managern genügt.[11]

4. Rechtsfolge unwirksamer Claims Made-Klauseln 

Fraglich ist, welche Rechtsfolgen sich aus einer unwirksamen Claims Made-Klausel ergeben würden. 

Rechtsfolge einer unwirksamen Klauseln ist grundsätzlich, dass an ihre Stelle gemäß § 306 Abs. 2 BGB das Gesetz tritt. Das VVG enthält jedoch in den §§ 100 ff. VVG keine eigene Definition des Versicherungsfalls der Haftpflichtversicherung. Eine gesetzliche Definition des Versicherungsfalls im VVG würde angesichts der Vielfältigkeit von Haftpflichtversicherungen auch keinen Sinn ergeben und wird deshalb regelmäßig in den jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgenommen.

Wenn kein Gesetzesrecht zur Lückenfüllung vorhanden ist, muss die Vertragslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden. Denn eine ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel würde den typischen Parteiinteressen nicht angemessen Rechnung tragen.

Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung ist die Vertragslücke in der Weise zu füllen, wie es die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bei Vertragsschluss bekannt gewesen wäre.[12] Im Hinblick auf das Claims Made-Prinzip erscheint es fraglich, was die Parteien vereinbart hätten, wenn die Unwirksamkeit der Klausel bei Vertragsschluss bekannt gewesen wäre.

5. Konsequenzen für die versicherungsnehmende Industrie 

Die neuerdings aufgekommene Diskussion über die komplette Streichung von Nachmeldefristen oder dem Wegfall der Deckung von Insolvenzrisiken führt in eine Sackgasse. Versicherer, die solche Deckungseinschränkungen durchsetzen riskieren, dass sich die Claims Made-Klauseln dieser Verträge eine unangemessene Benachteiligung des Klägers gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB darstellen könnten. Auch für Unternehmen sind solche Verträge kritisch, da sie ggf. nicht den Erfordernissen der jeweiligen Verschaffungsklauseln in den Anstellungsverträgen mit den jeweiligen Managern genügen und zu Schadenersatzansprüchen des Managers gegen das Unternehmen führen könnten. Nicht zuletzt müssen auch Versicherungsmakler im Hinblick auf die eigene Schadenersatzpflicht gemäß § 63 VVG vorsichtig sein, wenn sie zu solch lückenhaften Produkten Beratungsleistungen erbringen. 

Autor: Dr. Fabian Herdter

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis 03-2021

Literatur und Rechtsprechung:

[1] Versicherungsmonitor vom 21. Januar 2021, „D&O: AIG will Deckungen einschränken“, abrufbar unter: https://versicherungsmonitor.de

[2] Ebd.

[3] Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV, Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O) Musterbedingungen des GDV (Stand: Mai 2020)

[4] OLG München, Urt. vom 8. 5. 2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009, 1066; OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 5.12.2012 - 7 U 73/11, r +s 2013, 329; OLG Hamburg, Beschluss vom 8.07.2015 - 11 U 313/13, r + s 2015, 498.

[5] OLG München, Urt. vom 8. 5. 2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009, 1066

[6] Ebenda

[7] Ebenda

[8] Ebenda VersR 2009, 1066, 1067; Das OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 5.12.2012 - 7 U 73/11, r +s 2013, 329, 332 und OLG Hamburg, Beschluss vom 8.07.2015 - 11 U 313/13, r + s 2015, 498, 499 schlossen sich der Rechtsprechung des OLG München an und übernahmen die Auffassung, dass das Claims-made-Prinzip grundsätzlich wirksam ist und einer Inhaltskontrolle genügt, sofern die mit ihm verbundenen Nachteile ausreichend kompensiert werden.

[9] Ebenda VersR 2009, 1066, 1068.

[10] OLG Hamburg, , r + s 2015, 498, 499 sowie 2. LS der Entscheidung. 

[11] Solche Verschaffungsklauseln in Anstellungsverträgen regeln die Pflicht des Unternehmens, angemessene Berufshaftpflichtversicherung für den Manager (D&O-Versicherung) zu besorgen. 

[12] Vgl. statt vieler BGHZ 88, 78 = VersR 1983, 848; BGHZ 117, 92 = VersR 1992, 477; BGHZ 139, 333 = VersR 1999, 210.

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