Kein Vertrauen in die Vertrauens­schadenversicherung

Eine Vertrauensschadenversicherung schützt Unternehmen vor Vermögensschäden aus unerlaubten oder strafbaren Handlungen, die von Mitarbeitern des eigenen Unternehmens (Vertrauensperson) oder ggf. auch durch Dritte begangen werden. Dazu gehören beispielsweise Vermögensschäden aus Betrug, Untreue und Diebstahl. Entsprechend bewerben Versicherer die Vertrauensschadenversicherung und heben hervor, dass die Vertrauensschadenversicherung Sicherheit vor den finanziellen Folgen betrügerischer Handlung durch Mitarbeiter biete. 

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Die Vertrauensschadenversicherung sei die ideale Ergänzung zum vorhandenen Sicherheits- und Kontrollsystem eines Unternehmens, da Wirtschaftskriminalität nie vollständig zu verhindern sei.

Seit einigen Jahren bestreiten Versicherer im Schadenfall jedoch zunehmend die Deckung oder kommen nur für einen Teil des Schadens auf. Sie berufen sich häufig darauf, die Versicherungsnehmerin, also das Unternehmen, habe vertragliche Schadenverhütungsobliegenheiten verletzt. Kontrollmaßnahmen und Sicherungssysteme seien nicht in dem Umfang vorhanden bzw. würden nicht angewendet, wie das Unternehmen vor Vertragsschluss angegeben habe. Als weitere Einwendung tragen Versicherer vor, dass Repräsentanten des Unternehmens den Versicherungsfall durch mangelhafte Compliance-Systeme und fehlerhafte Überwachung der Vertrauenspersonen grob fahrlässig herbeigeführt hätten (vgl. § 81 Abs. 2 VVG). 

Als Konsequenz erweist sich der gegen unerlaubte Handlungen von Betriebsangehörigen eingekaufte Versicherungsschutz in der Praxis häufig als wertlos. Für Unternehmen stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Einkauf von Deckung unter der Vertrauensschadenversicherung noch lohnt, und worauf das Unternehmen bei Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung achten sollte.

Im Folgenden fassen wir unter 1. summarisch die Funktion und Wirkweise einer Vertrauensschadenschadenversicherung zusammen. Unter 2. legen wir dar, mit welchen Einwendungen ein Unternehmen im Schadenfall typischerweise rechnen muss, und welche rechtlichen Argumente dagegen vorzubringen sind. Die sich hieraus für Unternehmen ergebenden Konsequenzen bei Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung erläutern wir unter 3. 

1. Funktionsweise der Vertrauensschadenversicherung

Die Vertrauensschadenversicherung ist im Grundsatz eine Vermögensschadenversicherung des Unternehmens gegen Schäden aus kriminellen Handlungen eigener Mitarbeiter (häufig als „white collar crime“ bezeichnet). Dazu gehören beispielsweise Vermögensschäden aus Betrug, Untreue und Diebstahl.

Das Unternehmen als Versicherungsnehmerin verfolgt mit dem Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung (für den Versicherer erkennbar) den Transfer des Risikos, das durch vorsätzlich unerlaubte Handlungen einer Vertrauensperson (regelmäßig ein Mitarbeiter des Unternehmens oder ggf. eine dritte Person außerhalb des Unternehmens) ein Vermögensschaden des Unternehmens entsteht. „Gegenstand des Versicherungsschutzes [in der Vertrauensschadenversicherung] ist die Gefahr, dass derjenige, dem ein Unternehmer Vermögenswerte anvertraut, das in ihn gesetzte Vertrauen enttäuscht und dem Unternehmer hierdurch ein Vermögensschaden entsteht[1]

Für das versicherungsnehmende Unternehmen ist der Abschluss einer Vertrauensschadenschadenversicherung grundsätzlich sinnvoll. Durch den Risikotransfer kann die Versicherungsnehmerin moderne arbeitsteilige Prozesse anwenden und in einem modernen Markt durch den Einsatz von Personal auf Vertrauenspositionen handlungsfähig sein. Darüber hinaus kommt der Vertrauensschadenversicherung eine Bilanzschutzfunktion zu, da der Versicherer Vermögensschäden ausgleicht, die durch den Einsatz von Vertrauenspersonen entstehen.

Im Idealfall bietet die Vertrauensschadenversicherung damit eine sinnvolle Ergänzung zur ebenfalls durch das Unternehmen abgeschlossenen D&O-Versicherung. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der D&O-Versicherer die Freistellung des Organmitglieds gegenüber dem Unternehmen wegen einer „wissentlichen Pflichtverletzung“ des Organmitglieds ablehnt.[2] Zu beachten ist dabei aber, dass die Versicherungsfalldefinition in der Vertrauensschadenversicherung nicht an eine wissentliche Pflichtverletzung einer Vertrauensperson anknüpft, sondern an eine vorsätzliche unerlaubte Handlung einer Vertrauensperson, die nach den gesetzlichen Bestimmungen zum Schadensersatz verpflichtet. 

2. Einwendungen des Versicherers im Schadenfall

Kommt es zu einem durch eigene Mitarbeiter verursachten Schadenfall in der Vertrauensschadenversicherung, versucht das geschädigte Unternehmen durch die interne Revision und externe Wirtschaftsprüfer, Anwälte etc. das Ausmaß des Schadens zu ermitteln. 

Gleichzeitig zeigt das geschädigte Unternehmen gegenüber dem Versicherer einen Versicherungsfall an. Im Laufe der Schadenbearbeitung wenden Versicherer dann häufig ein, das geschädigte Unternehmen bzw. dessen Repräsentanten hätten vertragliche Obliegenheiten zur Schadenverhütung verletzt (dazu unter a). Darüber hinaus tragen Versicherer regelmäßig vor, das Unternehmen (bzw. dessen Repräsentanten) hätte den Schadenfall durch mangelnde Überwachung der handelnden Vertrauensperson grob fahrlässig mitherbeigeführt (dazu unter b), so dass der Versicherer nur einen Teil des Schadens ersetzen müsse.[3] 

a) Einwendung einer Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit

Als Schadenverhütungsobliegenheiten bezeichnete Klauseln in Vertrauensschadenversicherungen lauten bspw. wie folgt:[4]

„Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, zur baldigen Entdeckung von Schäden bzw. zu deren Verhütung und Geringhaltung alle gebotene Sorgfalt anzuwenden und alle zumutbaren Maßnahmen zu treffen.“

Nach der exemplarisch aufgezeigten Schadenverhütungsklausel soll das Unternehmen „alle gebotene Sorgfalt“ anwenden und „alle zumutbaren Maßnahmen“ treffen, um die baldige Entdeckung von Schäden bzw. deren Verhütung und Geringhaltung zu ermöglichen. 

Der Versicherer behauptet im Schadenfall dann häufig, dass Repräsentanten des Unternehmens die Schadenverhütungsobliegenheit verletzt hätten. Die Repräsentanten hätten allenfalls unzureichende Maßnahmen zur Schadenvermeidung (Compliance-Struktur) eingerichtet bzw. es unterlassen, die Einhaltung der Compliance-Struktur zu überwachen. Aus diesem Grund hätten Straftaten von Vertrauenspersonen von vornherein nicht verhindert werden können.

Dieser Einwand ist in der Formulierung der Klausel zur Schadenverhütungsobliegenheit bereits angelegt: Die Klausel zur Schadenverhütungsobliegenheit verpflichtet das Unternehmen, alle zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um Schäden zu verhindern. Entsteht dann ein Schaden, liegt der Einwand sehr nahe, die Versicherungsnehmerin habe die gebotenen und zumutbaren Schadenverhütungsmaßnahmen nicht ergriffen. 

Das Problem der soeben beispielhaft zitierten Vertragsklausel zur Schadenverhütungsobliegenheit liegt darin, dass die Klausel im Ausgangspunkt von der „Entdeckung von Schäden“, also dem Eintritt des Versicherungsfalls ausgeht. Daraus sollen sich die Maßnahmen zur Verhütung des Schadens ableiten. Der (Vertrauens-)Schaden ist jedoch die zentrale Voraussetzung eines Anspruchs des Unternehmens gegen den Vertrauensschadenversicherer. 

Zugespitzt ausgedrückt: Bereits mit der Mitteilung des Schadens (Schadenmeldung) liefert die Versicherungsnehmerin dem Versicherer das erste Argument, welches dieser gegen den Anspruch einwenden kann, nämlich eine (denkbare) Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit.[5] Im Nachhinein kann der Versicherer dann sehr leicht darlegen, welche angeblich aus ex ante-Sicht gebotene Schadenverhütungsmaßnahme den später eingetretenen Schaden verhindert hätte.

Versicherer begründen bzw. substantiieren diesen Vorwurf der Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit häufig damit, dass übliche und gebotene Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen wie Vier-Augen-Prinzip, regelmäßige Budgetkontrollen und Erfolgsrechnungen, laufende Rentabilitäts- und Liquiditätsbetrachtungen, Trennung von Buchhaltung und Kasse etc. nicht implementiert worden seien oder versagt hätten. Für die Implementierung und Überwachung dieser Kontroll- und Überwachungsmechanismen (Compliance-Maßnahmen) sei der Vorstand bzw. die Geschäftsführung verantwortlich. Vorstände und Geschäftsführer sind regelmäßig Repräsentanten des Unternehmens, deren Handlungen dem Unternehmen versicherungsrechtlich zugerechnet werden. Das Unternehmen habe daher seine vertraglich vereinbarten Schadenverhütungsobliegenheiten (grob fahrlässig) verletzt. Ohnehin falle die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems nach dem „Neubürger“-Urteil des LG München im Rahmen des Legalitätsprinzips in die Gesamtverantwortung des Vorstands.[6]

Die Rechtsfolgen einer solchen Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit des Unternehmens regeln die Allgemeinen Versicherungsbedingungen von Vertrauensschadenversicherungen vertraglich nach Maßgabe von § 28 VVG. Der Versicherer ist danach von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn die Versicherungsnehmerin die Obliegenheit vorsätzlich verletzte. Im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistungen in einem der Schwere des Verschuldens der Versicherungsnehmerin entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt die Versicherungsnehmerin. Soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist, bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn die Versicherungsnehmerin die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Neben diesen versicherungsrechtlichen Rechtsfolgen einer mutmaßlichen Obliegenheitsverletzung ergibt sich in der Praxis ein weiteres Problem, was offensichtlich von vielen Vertrauensschadenschadenversichern nicht ausreichend bedacht wird. Der Einwand des Vertrauensschadenversicherers (grob fahrlässig unterlassenen Implementierung und Überwachung von Compliance) ist für die Organe des Unternehmens auch (persönlich) haftungsrechtlich äußerst problematisch. Denn spätestens nach o.g. „Neubürger“-Urteil des LG München[7] steht durch den Einwand des Vertrauensschadenversicherers (fehlende Compliance) eine fahrlässige Pflichtverletzung des Organmitglieds im Raum, für die das Organmitglied ggf. dem Unternehmen gegenüber schadensersatzpflichtig ist. Nach der “ARAG-Garmenbeck-Entscheidung” des Bundesgerichtshofes[8] muss der Aufsichtsrat einer AG bspw. eigenverantwortlich prüfen, ob Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber dem Vorstandsmitglied bestehen und diese ggf. durchsetzen. Der Einwand „fehlende Compliance“ des Vertrauensschadenversicherers kann damit im weiteren Verlauf zu einer Schadenmeldung in der D&O-Versicherung führen.[9]

b) Einwand der grob fahrlässigen (Mit-)Herbeiführung des Versicherungsfalls 

Neben der Verletzung einer ggf. vertraglich vereinbarten Schadenverhütungsobliegenheit wenden Vertrauensschadenversicherer im Schadenfall regelmäßig ein, dass der Deckungsanspruch des Unternehmens auf Grundlage von § 81 VVG zu kürzen sei. § 81 VVG ist ein gesetzlicher subjektiver Risikoausschluss[10] in den Vorschriften zur Schadenversicherung (§§ 74 ff. VVG). Nach herrschender Meinung handelt es sich bei der Vertrauensschadenversicherung um eine Schadenversicherung[11], so dass § 81 VVG grundsätzlich anwendbar sei. 

Die Vorschrift des § 81 VVG lautet:

„(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.

(2) Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“

Bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 81 VVG ist der Versicherer also grundsätzlich nicht leistungspflichtig (Vorsatz, Abs. 1) oder nur quotal leistungspflichtig (grobe Fahrlässigkeit, Abs. 2), wenn das Unternehmen (d.h. dessen Repräsentanten) den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführten.

Da die Vertrauensschadenversicherung per Definition „vorsätzliche unerlaubte Handlungen von Vertrauenspersonen, die nach den gesetzlichen Bestimmungen zum Schadensersatz verpflichten“ deckt, ist die Anwendbarkeit von § 81 Abs. 1 VVG (vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls) für die versicherten Vertrauenspersonen denknotwendig abbedungen. 

Im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG (grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls) enthalten aber die Allgemeinen Versicherungsbedingungen („AVB“) der meisten Vertrauensschadenversicherer keine eindeutige vertragliche Regelung. 

So argumentieren Versicherer im Schadenfall häufig mit der gesetzlichen Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG. Sie behaupten dann, ein Repräsentant des Unternehmens habe den Versicherungsfall grob fahrlässig (mit-)herbeigeführt, weil bspw. eine Vertrauensperson des Unternehmens eine unberechtigte Überweisung alleine freizeichnen bzw. anweisen konnte. Dadurch sei als wichtiger Bestandteil eines wirksamen Kontrollsystems das grundsätzlich einzuhaltende Vier-Augen-Prinzip verletzt worden. Bereits diese Verletzung des Vier-Augen-Prinzips stelle einen Fall der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls dar, welcher dem Unternehmen über die Repräsentantenhaftung zuzurechnen sei. Auch insoweit kommt letztlich die Argumentation des „Neubürger“-Urteils des LG München zum Tragen, wonach die Einrichtung eines funktionierenden Kontroll- und Überwachungssystems in die Gesamtverantwortung des Vorstands fällt.[12] Die Versicherer argumentieren häufig mit einem Unterlassen der Versicherungsnehmerin, um deren grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls darzulegen (unterlassene Sicherheitsmaßnahmen, unterlassene Kontrollmaßnahmen, unterlassene Überwachungsmaßnahmen, unterlassene bzw. nicht ordnungsgemäße Compliance). 

Diese Argumentation überrascht die geschädigten Unternehmen: Sie glaubten, sich Versicherungsschutz für den Fall einzukaufen, dass sie von ihren eigenen Mitarbeitern vorsätzlich geschädigt werden. Nun wird ihnen entgegengehalten, dass dieser Versicherungsschutz nur für bestimmte Fälle gelten soll. Nur wenn die strafbare Handlung nicht durch Compliance-Maßnahmen hätte verhindert werden können, sollen die geschädigten Unternehmer vollen Versicherungsschutz beanspruchen können.

Die Standardeinwendungen „Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit“ und „grob fahrlässige Mitherbeiführung des Versicherungsfalles“ sollen daher im Folgenden einer kritischen Bewertung unterzogen werden. 

3. Rechtliche Bewertung der häufigen Einwendungen des Versicherers 

Fraglich ist, ob die soeben skizzierte Argumentation eines Vertrauensschadensversicherers im Schadenfall mit der angeblichen Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit (dazu unter a) bzw. mit der Anwendbarkeit des Risikoausschlusses der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls (dazu unter b) rechtlich zulässig ist. 

a) Rechtliche Bewertung der Einwendung „Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit“

Eine Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit durch das Unternehmen setzt regelmäßig voraus, dass 

  • die Obliegenheit AGB-rechtlich wirksam vereinbart ist (vgl. aa), und 
  • die Versicherungsnehmerin unzureichende Maßnahmen zur Schadenvermeidung (bspw. Compliance-Struktur) einrichtete bzw. eine ausreichende Compliance-Struktur unzureichend überwachte (vgl. bb), und
  • deshalb Straftaten von Vertrauenspersonen nicht verhindert werden konnten (vgl. cc).

aa) AGB-rechtliche Wirksamkeit der Schadenverhütungsobliegenheit

Fraglich ist, ob die vertraglich vereinbarte – oben unter I.2.a) beispielhaft formulierte – Schadenverhütungsobliegenheit und die daraus folgenden Leistungskürzungsrechte des Versicherers wirksam vereinbart werden können. 

Eine Schadenverhütungsobliegenheit, wie exemplarisch unter I.2.a) dargestellt, ist eine Allgemeine Versicherungsbedingung („AVB“), welche zu ihrer Wirksamkeit die gesetzlichen Anforderungen an Allgemeine Geschäftsbedingungen nach den §§ 305 ff. BGB erfüllen muss. Eine AGB-rechtliche Unwirksamkeit der Schadenverhütungsobliegenheit zu Gunsten des Unternehmens kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Versicherer – wie bei den meisten Versicherungsbedingungen – Verwender der AVB ist.[13]

Als AVB des Versicherers darf die Klausel den Versicherungsnehmer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht unangemessen im Sinne von § 307 BGB benachteiligen. Im Falle einer unangemessenen Benachteiligung wäre die Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam und somit nach § 306 Abs. 1 BGB nicht Bestandteil des Versicherungsvertrages geworden. Die Wirksamkeit des übrigen Versicherungsvertrags bliebe von der Unwirksamkeit der Klausel unberührt (vgl. § 306 Abs. 1 BGB).

aaa) Intransparenz, unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB

Die Schadenverhütungsobliegenheit könnte das Unternehmen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unangemessen benachteiligen. 

Eine unangemessene Benachteiligung liegt nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unter anderem vor, wenn eine Klausel nicht klar und verständlich, also intransparent formuliert ist. Ob eine Klausel klar und deutlich formuliert ist, richtet sich nach dem Verständnis, das ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse von der Klausel hat. Dieser durchschnittliche Versicherungsnehmer muss die Klausel sorgfältig lesen und um deren Verständnis bemüht sein.[14] Der Versicherungsnehmer muss nach sorgfältiger Lektüre der Klausel Gewissheit über den Inhalt und Umfang seiner Rechte und Pflichten erhalten.[15] Generalisierende Formulierungen sind zulässig, wenn sie einen gewissen Grad der Konkretisierung erreichen. Die Aufzählung von Fallbeispielen ist für eine transparente Formulierung nicht zwingend nötig.[16]

Die oben unter I.2.a) aufgeführte Schadenverhütungsklausel verpflichtet das Unternehmen, „alle gebotene Sorgfalt“ anwenden und „alle zumutbaren Maßnahmen“ zu treffen, um die baldige Entdeckung von Schäden bzw. deren Verhütung und Geringhaltung zu ermöglichen. 

Eine solche Klausel ist ausschließlich generalisierend formuliert. Sie gibt dem Unternehmen nicht vor, welche konkreten Maßnahmen das Unternehmen zur Entdeckung von Schäden bzw. deren Verhütung und Geringhaltung ergreifen soll. Beispiele für Maßnahmen, die das Unternehmen ergreifen soll, nennt die Klausel nicht. Insbesondere nennt die Klausel nicht das Wort „Compliance“. Vielmehr ist die Obliegenheit ausschließlich ergebnisorientiert formuliert. Die Versicherungsnehmerin soll alle (gebotenen und zumutbaren) Maßnahmen anwenden, die dem Ergebnis (der Entdeckung, Verhütung und Geringhaltung von Schäden) dienen können. Welche Maßnahmen dies sind, gibt die Klausel nicht vor.

Nach unserem Verständnis erkennt eine Versicherungsnehmerin auch nach sorgfältiger Lektüre der unter I.2.a) aufgeführten Klausel nicht, welche konkreten Maßnahmen die Klausel von ihr verlangt. Die Klausel gibt der Versicherungsnehmerin aufgrund ihrer weiten Formulierung kein Handlungsprogramm an die Hand und lässt die konkreten von ihr geforderten Pflichten nicht erkennen. Entsprechend ist eine Schadenverhütungsobliegenheit in diesem Kontext nicht klar und verständlich im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB formuliert. Dies führt dazu, dass die Klausel unwirksam ist. Der Versicherer kann seine (teilweise) Leistungsfreiheit unseres Erachtens daher nicht auf eine Verletzung der oben unter I.2.a) formulierten Obliegenheit zur Schadenverhütung stützen. 

bbb) Gefährdung des Vertragszwecks gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB

Eine in der Vertrauensschadenversicherung in AVB des Versicherers vorgegebene Schadenverhütungsobliegenheit könnte weiterhin deshalb gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmerin zur Folge haben, weil sie den Vertragszweck der Vertrauensschadenversicherung gefährden könnte. 

Fraglich ist, ob die oben exemplarisch formulierte Schadenverhütungsobliegenheit wesentliche Rechte und Pflichten (Kardinalpflichten) des Versicherers aus dem Vertrauensschadenversicherungsvertrag so sehr einschränkt, dass der Zweck des Versicherungsvertrages nicht mehr erreichbar ist. 

Unternehmen bezwecken mit der Vertrauensschadenversicherung den Transfer von Risiken, die aus ihrer gesellschaftsrechtlichen Organisation und aus arbeitsteiligen Prozessen folgen. Aufgrund der Vielzahl der innerhalb des Geschäftsbetriebs anfallenden Maßnahmen können die Organmitglieder der Unternehmen besonders vertrauens- und vermögensrelevante Maßnahmen (z. B. Geldüberweisungen) nicht vollständig alleine vornehmen. Die Unternehmen sind daher gezwungen, zahlreichen weiteren betriebsinternen Angestellten (Vertrauenspersonen) zu vertrauen und diese Angestellten vermögensrelevante Maßnahmen eigenverantwortlich ausführen zu lassen. Ohne Vertrauenspersonen wären die Unternehmen nicht handlungsfähig. Dass ein Unternehmen einzelne ausgewählte Vertrauenspersonen hinsichtlich deren Integrität falsch einschätzt und diese Personen Vermögensdelikte zu Lasten des Unternehmens begehen, kommt gelegentlich vor. Dies lässt sich aufgrund teilweise hoher krimineller Energie auch durch beste Compliance-Maßnahmen nicht verhindern.

Mit Abschluss des Versicherungsvertrages bezweckt die Versicherungsnehmerin den Transfer genau dieses Risikos von Vermögensschädigungen durch die Einschaltung von (kriminellen) Vertrauenspersonen, denen sie im Rahmen moderner arbeitsteiliger Betriebsstrukturen irrtümlich vertraut. Dieser Risikotransfer bewirkt aber nicht, dass die Versicherungsnehmerin ihr Unternehmen als „totale“ Überwachungsstruktur organisieren muss. Der Vertragszweck der Vertrauensschadenversicherung wäre gefährdet, wenn der Versicherer im Schadenfall (fast) immer einwenden könnte, die Versicherungsnehmerin habe ihre Schadenverhütungsobliegenheit verletzt und aufgrund dessen bestünde ein Leistungskürzungsrecht. Dies wäre der Fall, wenn das Unternehmen zur Erfüllung der Obliegenheit eine nahezu perfekte Compliance-Struktur vorhalten müsste, die es nahtlos kontrolliert. Ein Compliance-System, welches perfekt organisiert ist und zu 100 Prozent kontrolliert wird, würde die Begehung von Vermögensdelikten durch Vertrauenspersonen nahezu ausschließen. Die Vertrauenspersonen hätten aufgrund der perfekten Compliance-Struktur fast keine Möglichkeit zur Begehung von Vermögensdelikten zulasten der Versicherungsnehmerin. 

Könnte der Versicherer eine solche (nahezu) perfekte Compliance-Struktur und eine solche Überwachung der Struktur von der Versicherungsnehmerin zur Erfüllung der Schadenverhütungsobliegenheit verlangen, wäre der Vertragszweck im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB gefährdet. Das Risiko, dass das Unternehmen durch seine Vertrauenspersonen im Vermögen geschädigt würde, bestünde dann von vorneherein nicht. Der Versicherungsfall könnte aufgrund der perfekten Überwachungsstruktur nicht eintreten. Einen Risikotransfer gäbe es allenfalls noch in ganz geringem Umfang. 

Folglich wäre der Vertragszweck (Risikotransfer) gefährdet, wenn die Schadenverhütungsobliegenheit von einem Unternehmen verlangt, eine perfekte Compliance-Struktur vorzuhalten und die Einhaltung dieses Compliance-Systems lückenlos zu überwachen.

Der Wortlaut der oben zitierten Klausel fordert von der Versicherungsnehmerin „alle gebotene Sorgfalt“ und „alle zumutbaren Maßnahmen“. Gebotene Sorgfalt und zumutbare Maßnahmen sind mit einem lückenlosen Compliance-System und einer perfekten Überwachung wohl nicht zu 100 Prozent gleichzusetzen. Etwas anders gilt dann, wenn der Versicherer die Begriffe „alle gebotene Sorgfalt“ und „alle zumutbaren Maßnahmen“ seiner AVB so auslegt, dass das Unternehmen eine nahezu perfekte Compliance-Struktur vorhalten und überwachen muss. Die Eintrittspflicht des Versicherers wäre dann von vornherein (teilweise) ausgeschlossen. 

Die oben zitierte Klausel könnte daher eine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmerin im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB darstellen.

ccc) Zwischenergebnis 

Nach unserer Einschätzung kann die Schadenverhütungsobliegenheit das versicherungsnehmende Unternehmen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB oder § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unangemessen benachteiligen. Gemäß § 306 Abs. 2 BGB tritt das Gesetz an die Stelle der ABG-widrigen Schadenverhütungsobliegenheit. Entsprechend würden sich die gesetzlichen (Schadenverhütungs-) Obliegenheiten des Unternehmens nach unserer Einschätzung insbesondere nach §§ 19 ff. VVG (vor Abgabe der Vertragserklärung), nach §§ 23 ff. VVG (während des Vertrages) bzw. nach § 82 VVG (nach Eintritt des Versicherungsfalls) richten. 

Nach unserer Erfahrung kommen Gerichte in Streitfällen jedoch häufig zu einem anderen Ergebnis und halten die abstrakt und vom Ergebnis her formulierte Schadenverhütungsobliegenheit zumindest grundsätzlich für wirksam.

b) Rechtliche Bewertung der Einwendung von § 81 Abs. 2 VVG

Fraglich ist, ob sich ein Vertrauensschadenversicherer im Schadenfall auf die Einwendung der grob fahrlässigen Mitherbeiführung des Versicherungsfalls durch Repräsentanten des Unternehmens gemäß § 81 Abs. 2 VVG berufen und so den Versicherungsanspruch quoteln kann. Gegen die Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG auf die Vertrauensschadenversicherung lässt sich Folgendes anführen:

aa) Anwendbarkeit widerspricht Sinn und Zweck der Vertrauensschadenversicherung 

§ 81 Abs. 2 VVG wäre auf Versicherungsfälle in der Vertrauensschadenversicherung von vorneherein nicht anwendbar, wenn die Anwendbarkeit dem Sinn und Zweck der Vertrauensschadenversicherung widerspräche. Der Sinn und Zweck der Vertrauensschadenversicherung wäre gefährdet, wenn Tatsachen, die den Versicherungsfall auslösen, gleichzeitig die Voraussetzungen für die Leistungskürzung nach § 81 Abs. 2 VVG erfüllen könnten. 

Häufig argumentieren Versicherer nach einer Schädigung durch betriebseigenes Personal wie folgt: Die Schädigung der Versicherungsnehmerin durch das betriebseigene Personal war nur möglich, da die Compliance-Struktur des Unternehmens nicht ausreichend war und/oder diese Struktur unzureichend überwacht wurde. Damit habe der Versicherungsnehmer grob fahrlässig gehandelt, so dass nach § 81 Abs. 2 VVG der Versicherungsanspruch anteilig zu kürzen sei. Dass die schädigende Vertrauensperson vorsätzlich handelte, stünde der Kürzung des Anspruchs nicht entgegen. Für die Kürzung des Versicherungsanspruchs gemäß § 81 Abs. 2 VVG reiche bereits die Mitursächlichkeit des Kausalbeitrags der Versicherungsnehmerin aus (d.h. beispielsweise die grob fahrlässig unterlassene Überwachung etc.). 

Könnte der Versicherer in Fällen der vorsätzlichen Schädigung durch eine Vertrauensperson mit dieser Argumentation den Einwand grob fahrlässiger Herbeiführung (ggf. durch Unterlassen der Implementierung und Überwachung geeigneter Compliance-Strukturen) erfolgreich erheben und so die Versicherungsleistung (teilweise) verweigern, verlöre die Vertrauensschadenversicherung ihre Entschädigungs- und somit die Bilanzschutzfunktion. 

Denn einem Versicherungsfall in der Vertrauensschadenversicherung (vorsätzliches unerlaubtes schädigendes Verhalten einer Vertrauensperson gegenüber dem Unternehmen) liegt immanent zu Grunde, dass die konkrete kriminelle Handlung durch die Compliance-Struktur nicht vermieden wurde. Dies ist wenig verwunderlich, da es sich bei der schädigenden Vertrauensperson um einen Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin handelt, der die Schwachstellen die betrieblichen Abläufe und die Sicherheitslücken des eigenen Unternehmens kennt. 

Wenn für die Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 Abs. 2 VVG die Mitursächlichkeit grob fahrlässigen Handelns (oder Unterlassens) der Versicherungsnehmerin ausreichen würde, läge im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls in der Vertrauensschadenversicherung der Einwand des Versicherers grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 Abs. 2 VVG auf der Hand. Der Eintritt des Versicherungsfalls wäre sehr häufig deckungsgleich mit den Voraussetzungen nach § 81 Abs. 2 VVG. Sehr häufig würde der Versicherungsnehmer das Risiko, durch kriminelle Handlungen von Vertrauenspersonen geschädigt zu werden, wegen der Leistungskürzung nach § 81 Abs. 2 VVG nicht erfolgreich auf den Versicherer transferieren können. Demnach widerspräche die Anwendung von § 81 Abs. 2 VVG dem Sinn und Zweck der Vertrauensschadenversicherung (Risikotransfer, Bilanzschutz).

Bereits aufgrund dessen halten wir die Anwendung von § 81 Abs. 2 VVG auf die Vertrauensschadenversicherung mit dem Sinn und Zweck der Vertrauensschadenversicherung für nicht vereinbar.

bb) Wertungswidersprüche sprechen gegen die Anwendbarkeit

Darüber hinaus belegen die nachfolgenden Fallbeispiele und die (aus der Anwendung von § 81 VVG folgenden) Wertungswidersprüche, dass § 81 VVG auf die Vertrauensschadenversicherung nicht anwendbar sein kann.

Zum Verständnis der nachfolgenden Beispiele halten wir nochmals fest: Im Rahmen von § 81 VVG wird dem Versicherungsnehmer im Grundsatz das Verhalten seiner Repräsentanten zugerechnet. Repräsentanten sind diejenigen Personen, die mit Wissen und Wollen des Versicherungsnehmers die vollständige Risikoverwaltung anstelle des Versicherungsnehmers übernommen haben (i. d. R. Geschäftsführer, Mitglieder des Vorstands oder Risk-Manager in Unternehmen).[17] Der Repräsentant ist meist auch Vertrauensperson. Jedoch ist nicht jede Vertrauensperson (z.B. ein Abteilungsleiter) gleichzeitig Repräsentant des Versicherungsnehmers. Folglich kann das Verhalten einer Vertrauensperson nicht stets dem Unternehmen, jedoch stets das Verhalten der Repräsentanten dem Unternehmen zugerechnet werden. 

Beispiel 1:

Dass das nachfolgende Beispiel 1 in der Vertrauensschadenversicherung gedeckt ist, ist unstreitig: 

Eine Vertrauensperson (Abteilungsleiter), die kein Repräsentant ist, verursacht durch vorsätzliches Verhalten (z.B. Untreue) einen Vermögensschaden der Versicherungsnehmerin. 

In diesem Fall besteht unstreitig ein Anspruch der Versicherungsnehmerin gegen den Versicherer. Eine Kürzung des Versicherungsanspruches nach § 81 Abs. 2 VVG kommt nicht in Betracht, da das Verhalten der Vertrauensperson (Abteilungsleiter) der Versicherungsnehmerin nicht gemäß § 81 VVG zugerechnet werden kann. Das Unternehmen hat somit nicht grob fahrlässig im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG gehandelt, der Versicherungsanspruch besteht in voller Höhe. 

Beispiel 2:

Dass im folgenden Beispiel 2 der Risikoausschluss des § 81 Abs. 2 VVG nicht greift, ist ebenfalls unstreitig.

In diesem Beispiel verursacht eine Vertrauensperson, die gleichzeitig Repräsentantin ist, alleine und vorsätzlich einen Vermögensschaden zu Lasten des Unternehmens. 

Der Anspruch ist nicht durch § 81 Abs. 2 VVG ausgeschlossen. Die Vertrauensschadenversicherung gewährt Deckung gerade für den Fall, dass ein vorsätzliches Verhalten der Vertrauensperson (sei sie zusätzlich Repräsentantin oder nicht) vorliegt.

Beispiel 3: 

Eine Vertrauensperson, die nicht Repräsentantin ist (X), verursacht den Vermögensschaden der Versicherungsnehmerin vorsätzlich. Bei der Schadenverursachung wirkt eine andere Vertrauensperson (Y), die zugleich Repräsentantin ist, vorsätzlich mit. 

Eine Leistungskürzung des Versicherungsanspruches nach § 81 VVG ist in diesem Beispiel 3 ebenfalls nicht möglich. Das (gemeinsame) vorsätzliche Verhalten von X und von Y, das zu einem Vermögensschaden der Versicherungsnehmerin führt, ist unter der Vertrauensschadenversicherung gedeckt. 

Dass in dieser Fallkonstellation Versicherungsschutz besteht, folgt auch aus §§ 830, 840 BGB. Nach diesen Vorschriften haften mehrere Personen als Gesamtschuldner, wenn sie für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden nebeneinander verantwortlich sind.[18]

Beispiel 4:

Die Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG im nachfolgenden vierten Beispiel ist umstritten. 

In Beispiel 4 führt eine Vertrauensperson (X) – egal ob Repräsentantin oder nicht – einen Schaden vorsätzlich herbei. Gleichzeitig fällt einer weiteren Vertrauensperson (Y), die Repräsentantin der Versicherungsnehmerin ist, grob fahrlässig nicht auf, dass X den Vermögensschaden verursachte. 

Würde man § 81 Abs. 2 VVG auf vorgenannte Fallkonstellation anwenden, würde das vorsätzliche Handeln von X den Versicherungsfall auslösen und das grob fahrlässige (dem Unternehmen zurechenbare) Verhalten der Repräsentantin Y den Versicherungsanspruch gemäß § 81 Abs. 2 VVG kürzen. 

Der Vergleich zur dritten Fallkonstellation belegt im Erst-Recht-Schluss, dass auch in Beispiel 4 § 81 Abs. 2 VVG nicht anwendbar sein kann und eine Leistungskürzung nicht in Betracht kommt. Wenn zwei vorsätzlich handelnde Vertrauenspersonen (Bsp. 3) in der Vertrauensschadenversicherung bewirken, dass ein hundertprozentiger Leistungsanspruch des Unternehmens gegen den Versicherer besteht, muss im Erst-Recht-Schluss eine Kombination von vorsätzlich und grob fahrlässig handelnden Vertrauenspersonen und Repräsentanten (Bsp. 4) dazu führen, dass ebenfalls ein hundertprozentiger Leistungsanspruch gegen den Versicherer besteht.[19] Jede andere Auffassung würde zu einem unauflösbaren Wertungswiderspruch führen. Ein Plus (die vorsätzliche Verursachung durch Repräsentanten) wäre nicht deckungsschädlich. Hingegen wäre das Minus (der Schaden wird von einer vorsätzlich handelnden Vertrauensperson verursacht und grob fahrlässig von einem Repräsentanten nicht entdeckt) deckungsschädlich.

§ 81 Abs. 2 VVG ist daher nach unserer Auffassung auf die Vertrauensschadenversicherung nicht anwendbar.[20]

cc) Anwendbarkeit des § 81 VVG widerspricht Gesamtschuldverhältnis nach § 840 BGB

Gegen die Anwendbarkeit des § 81 Abs. 2 VVG auf die Vertrauensschadenversicherung spricht weiterhin, dass sich daraus unauflösbare Widersprüche zur Gesamtschuld nach § 840 BGB ergeben. Denn durch die grob fahrlässige Mitwirkung einer weiteren Vertrauensperson (Repräsentanten) entsteht ein Gesamtschuldverhältnis gemäß § 840 BGB. Aus diesem Gesamtschuldverhältnis würden mehrere Personen (z.B. X und Y aus Beispiel 4) zu 100 Prozent haften. Im Versicherungsverhältnis würde der Anspruch bei Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG quotal gekürzt. Die Vertrauensschadenversicherung soll aber gerade das Risiko der (auch gesamtschuldnerischen) Schädigung des Unternehmens transferieren. Zwischen der gesamtschuldnerischen Haftung und dem versicherungsrechtlichen Anspruch bestünde demnach durch § 81 Abs. 2 VVG keine zwingende Übereinstimmung. Dies halten wir aus folgenden Gründen für einen unauflösbaren Wertungswiderspruch zu Lasten des Unternehmens: 

Ein Gesamtschuldverhältnis entsteht auch ohne ein gemeinschaftliches abgestimmtes Handeln der Vertrauenspersonen. § 840 BGB setzt voraus, dass für den aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schaden mehrere Personen nebeneinander verantwortlich sind. „Unerlaubte Handlung“ ist dabei in einem weiteren Sinn zu verstehen. Voraussetzung des § 840 BGB ist nicht, dass alle Schädiger eine unerlaubte Handlung begangen haben. § 840 BGB ist auch dann anwendbar, wenn die weitere Person (Repräsentant) dem Geschädigten (Versicherungsnehmerin) aus Gesetz wegen tatsächlichem oder vermutetem Verschulden haftet.[21] Eine gesamtschuldnerische Haftung nach § 840 BGB kann selbst dann entstehen, wenn die weitere schadenverursachende Person aus Vertrag haftet.[22]

Liegt demnach eine Konstellation wie in Beispiel 4 (vorsätzlich handelnde Vertrauensperson / grob fahrlässig mitverursachender Repräsentant) vor, ergibt sich folgende Situation: 

Die Vertrauensperson haftet für den entstandenen Schaden aus unerlaubter Handlung. Den Repräsentanten (Organ/Geschäftsführer), der den Versicherungsfall (die schädigende Untreuehandlungen der Vertrauensperson) grob fahrlässig ermöglichte, trifft die gesetzliche Organhaftung. Daraus haftet der Repräsentant für den durch die Untreuehandlungen entstandenen Schaden. Darüber hinaus haftet der Repräsentant regelmäßig aus seinem Anstellungsvertrag auf Schadenersatz. Die Voraussetzungen von § 840 BGB sind entsprechend erfüllt.

Folge des Gesamtschuldverhältnisses ist, dass der Geschädigte (das Unternehmen) berechtigt ist, die Leistung von jedem Gesamtschuldner insgesamt zu fordern. Der Versicherer ist entsprechend verpflichtet, den Schaden in diesem Fall insgesamt zu ersetzen, unabhängig davon, ob und auf welche Weise der Repräsentant des Unternehmens den Schaden fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich mitverursacht hat. Dies gilt unzweifelhaft dann, wenn beide betroffenen Personen Vertrauenspersonen sind.[23]

Fraglich ist, ob dies sogar dann gilt, wenn eine Nicht-Vertrauensperson einen Schaden gemeinsam mit einer Vertrauensperson herbeiführt. Dafür lässt sich anführen, dass es nach herrschender Literaturmeinung keine Rolle spielt, ob der Mitverursacher des Schadens eine Vertrauensperson ist.[24] Maßgeblich soll allein das Vorliegen einer unerlaubten Handlung der Vertrauensperson als Anknüpfungspunkt für den Versicherungsschutz sein.[25] Der Ersatzanspruch gegen den Versicherer richte sich lediglich danach, ob die versicherte Vertrauensperson gegenüber dem Unternehmen haftet.[26] Ohne Relevanz ist es, welche Rolle die versicherte Vertrauensperson im Verhältnis zu den übrigen Schädigern eingenommen hat[27], und ob diese Mittäter, Anstifter, Gehilfe oder sogar nur Nebentäter sind.[28]

Zusammenfassend führt auch das Gesamtschuldverhältnis der vorsätzlich handelnden Vertrauensperson und des grob fahrlässig handelnden Repräsentanten und die daraus folgenden Wertungswidersprüche zur Unanwendbarkeit des § 81 Abs. 2 VVG.

dd) Rechtsprechung zur Anwendbarkeit von § 81 VVG

Ein Urteil des BGH zur Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern vom 30. September 1998[29] bestätigt die Ausführungen zur Nichtanwendbarkeit von § 81 VVG auf die Vertrauensschadenversicherung bis zu einem gewissen Grad. Der Bundesgerichtshof entschied zur Vorgängerregelung von § 81 Abs. 2 VVG, dass „ein Ausschluss des Versicherungsschutzes wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls dem Zweck der Vertrauensschadenversicherung [Anmerkung: für Notare] widerspräche“. Wenn man diese Aussage des Bundesgerichtshofes auf die Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen überträgt, wäre auch in der Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen § 81 Abs. 2 VVG nicht anwendbar. 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes erging jedoch zur Vertrauensschadenversicherung der Notarkammer. Die Notarkammern sind gesetzlich gemäß § 67 Abs. 3 Nr. 3 BNotO verpflichtet, neben der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für fahrlässig begangene Fehler der Notare eine Vertrauensschadenversicherung (für den Fall vorsätzlicher rechtswidriger Schädigung der Kunden der Notare) zu unterhalten. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs geht der Regelungszweck von § 67 Abs. 3 Nr. 3 BNotO der Regelung des § 81 Abs. 2 VVG vor. Der Bundesgerichtshof geht wohl davon aus, dass die Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern eine besondere Schutzfunktion für die Kunden der Notare hat. Da die Notare in zahlreichen Geschäften zwangsnotwendig wegen gesetzlicher Formvorschriften hinzugezogen werden müssen, soll der Anspruch gegen die Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern nicht durch grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls durch die Notarkammer gekürzt werden können. 

Eine dem § 67 Abs. 3 Nr. 3 BNotO vergleichbare Regelung existiert für die Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen nicht. Daher wendete das Oberlandesgericht Frankfurt[30] die Vorgängerregelung des § 81 Abs. 2 VVG (§ 61 Abs. 2 VVG a.F.) in einer wenig ausdifferenzierten Entscheidung auf die Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen an und kürzte einen Versicherungsanspruch wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls (durch nicht ordnungsgemäße Compliance-Strukturen).

4. Fazit / Konsequenzen für Unternehmen bei Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung

Blindes Vertrauen schadet – wie häufig im Leben – auch in der Vertrauensschadenversicherung. 

Um eine sinnvolle Deckung im Schadenfall zu gewährleisten und zur Vermeidung der oben aufgeführten Einwendungen des Versicherers, sollte das versicherungsnehmende Unternehmen nicht auf schöne Prospekte und Werbeversprechen vertrauen. Vielmehr sollte das versicherungsnehmende Unternehmen zur Vermeidung späterer Streitigkeiten im Schadenfall sicherstellen, dass die AVB und die Besonderen Versicherungsbedingungen keine Schadenverhütungsobliegenheit enthalten, und dass die Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG in den AVB explizit ausgeschlossen ist. 

Sollte die Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG nicht in den AVB ausgeschlossen sein, empfiehlt sich die Vereinbarung der Nichtanwendbarkeit von § 81 Abs. 2 VVG in den Besonderen Bedingungen des Versicherungsvertrages. 

Sollte der Versicherer auf der vertraglichen Vereinbarung einer Schadenverhütungsobliegenheit bestehen, so muss diese konkret (und nicht generalisierend abstrakt) vorgeben, welche Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen das Unternehmen zur Verhütung von Schäden umzusetzen hat. Je generalisierender eine vertragliche Schadenverhütungsobliegenheit formuliert wird und je mehr sie vom Ergebnis her (dem Schaden) die Pflichten des Unternehmens nur abstrakt definiert, umso einfacher fällt es dem Versicherer später, eine Verletzung der Schadenverhütungsobliegenheit zu behaupten. Unternehmen sollten daher pauschale und allgemeine Schadenverhütungsobliegenheit wie die oben beispielhaft zitierte nicht akzeptieren, sondern allenfalls konkrete Schadenverhütungsobliegenheiten, aus denen sich ohne komplizierte Auslegungen das Pflichtenheft des Versicherungsnehmers entwickeln lässt.

Autor: Dr. Fabian Herdter, Lars Winkler

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Der Betriebs-Berater 35/2016, S. 2056 ff.

Literatur:

[1] Vgl. BGH, Urteil vom 11. 7. 1960 - II ZR 254/58, NJW 1960, 1903, 1906.

[2] Vgl. Herdter, Deckung aus einer Hand? Sinnvolles Zusammenspiel von D&O- und Vertrauensschadenversicherung, VP 2013, 232.

[3] Zu beachten ist, dass im Versicherungsrecht die Zurechnung von Drittverhalten in erster Linie über die sogenannte Repräsentantenhaftung erfolgt. Repräsentant der Versicherungsnehmerin (des Unternehmens) ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle der Versicherungsnehmerin getreten ist, BGH, Urteil vom 21. April 1993IV ZR 34/92, VersR 1993, 828. Dies schließt die Organmitglieder der Versicherungsnehmerin grundsätzlich mit ein. § 278 BGB findet als Zurechnungsnorm im Versicherungsrecht grundsätzlich keine Anwendung.

[4] Bsp. nach VSV-Zurich, § 11 Abs. 2 ABVZ 08.

[5] Eine ganz ähnliche Konstellation besteht im Recht der Produkthaftpflichtversicherung. Dort sind die Versicherungsnehmer verpflichtet, alle üblichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um fehlerhafte Produkte vor ihrer Auslieferung zu erproben und auszusortieren. Meldet der Versicherungsnehmer in der Produkthaftpflichtversicherung dann einen Schaden, so wird fast regelmäßig der Einwand erhoben, er habe die Erprobungsklausel verletzt, es sei ja schließlich ein schadhaftes Produkt ausgeliefert worden.

[6] LG München, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345.

[7] Vgl. Fn. 5.

[8] BGH, Urteil vom 21. April 1997, Az: II ZR 175/95, NJW 1997, 1926.

[9] Bspw. im Wege einer Umstandsmeldung oder nach der Inanspruchnahme des Organmitglieds (Claims-made).

[10] Vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz: VVG, 29. Auflage 2015, § 81 Rn. 3 m.w.N.

[11] Vgl. Koch/Sommer in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 6. Aufl. 2014 § 19 Rn. 16.

[12] LG München, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345.

[13] Handelt es sich um Maklerbedingungen, steht die Verwendereigenschaft des Versicherers in Frage, vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. 7. 2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009,1477; Schimikowski, r + s 2012, 577, 580. 

[14] Vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 19. 2. 2003 - IV ZR 318/02, NJW-RR 2003, 672, 673.

[15] Vgl. Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht-Kommentar, 10. Auflage 2006, zu § 307 BGB Rn. 338.

[16] Vgl. Fuchs aaO Rn. 341

[17] Vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1993 – IV ZR 34/92, NJW 1993, 1862; BGH, Urteil vom 10. Juli 1996 – IV ZR 287/95, NJW 1996, 2935. 

[18] Vgl. Grote in Langheid/Wandt, Münch. Komm. zum VVG, Bd. 2, 2011, VertrauensschadenV, Rn. 82, 155.

[19] So im Ergebnis auch Grote aaO Rn. 157.

[20] Ähnlich: Grote aaO Rn. 157; Koch, Vertrauensschadenversicherung, 2006, Rdn. 273 (zu § 61 VVG a. F.); nicht eindeutig: W. Schneider in Terbille/Höra, MünchenerAnwaltshandbuch Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 29 Rn. 171 (ggf. keine Anwendbarkeit des § 81 Abs. 2 VVG auf Organe des Unternehmens); a.A. von Bergner in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2007, § 21 Rn. 118 ff.; Looschelders VersR 2013, 1069, 1073; Looschelders/Seitz in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl. 2011, Anh. D. Rn. 91.

[21] Vgl. Sprau in: Palandt, BGB, 73. Auflage 2014, § 840 Rn. 1.

[22] Vgl. Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 840 Rn. 9.

[23] Vgl. Grote aaO Rn. 82.

[24] Vgl. Grote aaO Rn. 82; W. Schneider aaO Rn. 47.

[25] Vgl. Grote aaO Rn. 82.

[26] Vgl. Grote aaO Rn. 82.

[27] Vgl. W. Schneider aaO Rn. 47; siehe auch Kudlich in Beck'scher Online Kommentar StGB, § 25 Rn. 62, wonach Beispiele für die Nebentäterschaftinsbesondere Fahrlässigkeitsdelikte“ sind.

[28] Vgl. Grote aaO Rn. 82, W. Schneider aaO Rn. 47.

[29] BGH, Urteil vom 30. 9. 1998 - IV ZR 323, VersR 1998, 1504.

[30] OLG Frankfurt, Urteil vom 5. Juni 2013, Az. 3 U 204/11.

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