Risiko Unterversicherung: Leistungskürzungen aufgrund zu niedriger Versicherungssumme vermeiden

Fast regelmäßig berufen sich Versicherungsgesellschaften nach dem Eintritt größerer Schadensfälle darauf, es läge Unterversicherung vor und die Versicherungsleistung wäre aus diesem Grund zu kürzen. Für den Versicherungsnehmer kann dieser Einwand schwerwiegende finanzielle Folgen nach sich ziehen. 

Im schlechtesten Fall bleibt er auf einem Großteil des ihm beispielsweise durch einen Gebäudebrand entstandenen Schadens buchstäblich sitzen. Dies trotz des Umstandes, dass er sich mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrages über eine Feuer- oder Allgefahrenversicherung für das durch den Brand zerstörte Gebäude gerade vor solchen Schäden schützen wollte.

1. Praxisrelevanz der Unterversicherung 

Eine Unterversicherung gemäß § 75 VVG[1] liegt dann vor, wenn die Versicherungssumme niedriger ist als der Versicherungswert. Bei einem Vollschaden leistet der Versicherer im Fall der Unterversicherung nur in Höhe der Versicherungssumme, auch wenn der eingetretene Schaden tatsächlich höher ist. Dieses Prinzip wirkt sich auch bei Teilschäden zum Nachteil des Versicherungsnehmers aus: Da Versicherer die zu leistende Prämie in Abhängigkeit von der Höhe der Versicherungssumme berechnen, bleibt die Unterversicherung bei einem Teilschaden nicht unberücksichtigt. Auch bei Teilschäden setzt der Versicherer die Entschädigung proportional herab. Die Entschädigung verhält sich zum tatsächlich entstandenen Schaden wie die Versicherungssumme zum wirklichen Versicherungswert.

Die Regelungen zur Unterversicherung sollen sicherstellen, dass Versicherungsnehmer nicht Prämien sparen, indem sie die versicherte Sache zu einem geringeren als dem tatsächlichen Wert versichern.

Zu einer Unterversicherung kommt es daher, wenn die Vertragsparteien eines Versicherungsvertrags schon bei Vertragsschluss die Versicherungssumme zu niedrig festlegen oder der Wert des versicherten Gegenstands nach Vertragsschluss steigt, ohne dass der Versicherungsnehmer die Versicherungssumme entsprechend anpasst. 

Die weitreichenden finanziellen Nachteile, welche bei Vorliegen einer Unterversicherung für den Versicherungsnehmer eintreten, zeigt folgendes Beispiel auf: 

Ein Gebäude mit einem Versicherungswert von EUR 300.000,00 brennt teilweise nieder. Das Gebäude ist mit einer Versicherungssumme in Höhe von EUR 250.000,00 (unter-)versichert. Bei dem Brand entsteht ein Schaden in Höhe von EUR 200.000. 

Obwohl der Schaden unter der vereinbarten Versicherungssumme liegt, erhält der Versicherungsnehmer nicht den vollen Schaden ersetzt. Der Versicherer kürzt die Entschädigung im gleichen Verhältnis, in dem das Gebäude unterversichert war. Die proportionale Kürzung der Entschädigungsleistung nimmt der Versicherer anhand folgender Berechnungsformel, der „Proportionalitätsregel“, vor: 

Schaden x Versicherungssumme 

------------------------------------------- = vom Versicherer geschuldete Entschädigung 

Versicherungswert                                 

Trotz eines tatsächlichen Schadens von EUR 200.000,00 erhält der versicherte Eigentümer des durch den Brand beschädigten Gebäudes demzufolge nur eine Entschädigung in Höhe von EUR 166.666,67 vom Versicherer. 

2. Möglichkeiten zur Vermeidung einer Unterversicherung

Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, eine proportionale Kürzung der Leistung des Versicherers im Schadenfall bereits bei Vertragsschluss abzubedingen oder vertragliche Vorkehrungen gegen den Eintritt einer Unterversicherung zu treffen. 

2.1 Korrekte Berechnung und Anpassung der Versicherungssumme an geänderte Umstände

Um eine Unterversicherung möglichst zu vermeiden, ist bereits beim Abschluss eines Versicherungsvertrages größte Sorgfalt auf die richtige Bestimmung der Versicherungssumme zu legen. 

Insbesondere in der Gebäudeversicherung bereitet es allerdings seit jeher Probleme, beim Vertragsschluss die zutreffende Versicherungssumme festzulegen. Dies resultiert daraus, dass Versicherungsgesellschaften bei der Ermittlung des der Versicherungssumme und der Höhe der Prämien häufig auf den Gebäudeversicherungswert 1914 (auch Wert 1914 oder einfach 1914er Wert) abstellen. Hierbei handelt es sich um einen fiktiven Rechenwert, welcher den Neubauwert des Gebäudes im Jahr 1914 angibt. Mit Hilfe des jährlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Baupreisindex lässt sich der Wert 1914 umrechnen, sodass der Versicherer den Neubauwert für ein beliebiges Jahr ermitteln kann. Der so ermittelte Gebäudewert wird dann als Versicherungssumme vereinbart. 

Für Versicherungsnehmer ist es häufig schwierig, den Wert 1914 zu ermitteln. Hinzu kommt, dass auch nicht jeder Versicherungsnehmer über den Baupreisindex eines entsprechenden Jahres verfügt. In solchen Fällen stellt es den sichersten Weg dar, einen Bausachverständen zu Rate zu ziehen. Viele Versicherungsgesellschaften bieten zudem an, das zu versichernde Objekt von einem ihrer Bausachverständigen bewerten zu lassen. Bestimmt ein solcher die Höhe der Versicherungssumme und legen die Versicherungsvertragsparteien diese dem Gebäudeversicherungsvertrag zugrunde, ist dem Versicherer der Einwand, es läge Unterversicherung vor, verwehrt. Der Versicherungsnehmer sollte jedoch Sorge dafür tragen, eine regelmäßige Anpassung der Versicherungssumme an geänderte Umstände vorzunehmen – beispielsweise, wenn das Gebäude durch Umbauten aufgewertet wurde. 

2.2 Vereinbarung eines Unterversicherungsverzichts

Die Vereinbarung eines Unterversicherungsverzichts, bei welchem der Versicherer im Schadenfall von vornherein auf den Einwand der Untersicherung verzichtet ist die beste Möglichkeit sich vor Unterversicherung zu schützen. Manche Versicherungsbedingungen, beispielsweise spezielle Bedingungen zur Wohngebäudeversicherung, sehen solche Verzichte bereits vor. Falls dies jedoch, wie bei den meisten Versicherungsverträgen, nicht der Fall ist, besteht die Möglichkeit beim Versicherer zu erfragen, ob dieser dazu bereit ist einen solchen Unterversicherungsverzicht zu erklären und in den Versicherungsvertrag einzubeziehen. Oftmals wird beim Versicherer jedoch keine Bereitschaft dazu bestehen, eine Unterversicherungsverzicht zu erklären. 

2.3 Versicherung auf erstes Risiko

Einzelne Schadenspositionen, wie Aufräum- oder Sachverständigenkosten lassen sich auch mit einer Versicherung auf erstes Risiko (auch Erstrisikoversicherung oder Versicherung auf erste Gefahr) absichern[2]. Bei einer solchen ist die Versicherungsleistung durch eine vereinbarte Versicherungssumme in der Höhe nach oben begrenzt. Ein Versicherungswert ist im Versicherungsvertrag für Positionen, welche auf erstes Risiko versichert sind, nicht bestimmt. Das Problem einer etwaigen Unterversicherung entsteht also nicht. 

Die Erstrisikoversicherung ist dann sinnvoll, wenn die Bestimmung eines genauen Versicherungswerts schwierig ist. Neben Aufräum- und Sachverständigenkosten ist eine Versicherung auf erstes Risiko auch häufig bei Abbruchkosten, Feuerlöschkosten, Bewegungs- und Schutzkosten vorgesehen. Dort dient die Erstrisikoversicherung vor allem der erleichterten Schadenregulierung. 

2.4 Vereinbarung beweglicher Versicherungssummen

Mit Vereinbarung einer gleitenden Neuwertversicherung können sich Versicherungsnehmer vor Wertsteigerungen während der Laufzeit eines Versicherungsvertrags und somit vor Unterversicherung schützen. Insbesondere bei der Gebäudeversicherung sehen Versicherungsbedingungen eine gleitende Neuwertversicherung vor. Bei einer solchen stellen die Vertragsparteien eines Versicherungsvertrags in der Regel für die Ermittlung der Versicherungssumme auf den Gebäudeversicherungswert 1914 ab. Bei der Vereinbarung einer gleitenden Neuwertversicherung passen sich Versicherungssumme und Versicherungswert jeweils gleitend an die Entwicklung der ortsüblichen Baupreise an. Einem Versicherungsnehmer droht bei zutreffender Ermittlung des Gebäudeversicherungswerts 1914 bei Vertragsabschluss im Schadenfall keine Unterversicherung durch Veränderung der Baupreise. 

Die Ermittlung einer ausreichenden Versicherungssumme auf Grundlage des Gebäudeversicherungswert 1914 ist jedoch, wie bereits dargestellt, nicht einfach vorzunehmen. Dies kann in der Praxis zu Streitfällen führen.

2.5 Weitere versicherungsvertragliche Möglichkeiten Unterversicherung zu vermeiden

In den einzelnen Sachversicherungssparten bestehen aufgrund der verschiedensten abzusichernden Risiken weitere Möglichkeiten Unterversicherung zu vermeiden, welche den Besonderheiten des abzusichernden Risikos jeweils Rechnung tragen. Bei Versicherungen von Vorräten, Warenlagern oder Speditionsgüter können die Versicherungsvertragsparteien sogenannte Stichtagssummen oder Stichtagsversicherungen vereinbaren. 

Bei Positionenversicherungen, welche beispielsweise Gebäude, Betriebseinrichtungen und Vorräte in einem Versicherungsvertrag zusammenfassen, mindert die Vereinbarung eines Summenausgleichs und/oder einer Vorsorgeversicherung die Gefahr einer drohenden Unterversicherung. Aufgrund der oftmals sehr speziellen Anforderungen des benötigten Versicherungsschutzes, sollte ein Versicherungsnehmer fachkundigen Rat einholen, um sich bestmöglich gegen Risiken und Unterversicherung zu schützen.

3. Schadensersatz bei Unzureichender Beratung 

Kürzt der Versicherer mit dem Einwand der Unterversicherung seine Entschädigungsleistung, kommt in einigen Fällen eine Schadensersatzpflicht des Versicherers oder Versicherungsmaklers in Betracht.

3.1 Beratungspflichten des Versicherers verletzt?

Resultiert die Unterversicherung aus seiner unzureichenden Beratung durch den Versicherer (nicht durch einen Versicherungsmakler), kann der Versicherungsnehmer der Kürzung wegen Unterversicherung im Einzelfall einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 VVG entgegenhalten. 

Die Frage, wie bei der Gebäudeversicherung beim Abschluss des Versicherungsvertrags eine ausreichende Versicherungssumme festzulegen ist, war bereits mehrfach Gegenstand von versicherungsrechtlichen Verfahren. Dies insbesondere bei der gleitenden Neuwertversicherung, welche bei der Ermittlung der Versicherungssumme an den Gebäudeversicherungswert 1914 ansetzt. 

Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2011 entschieden[3], es sei mit den Geboten von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, dass ein Versicherer die problematische Bestimmung des Versicherungswertes 1914 dem Versicherungsnehmer überlässt, ohne diesen deutlich darauf hinzuweisen, welche Gefahr er mit einer vorschnellen Bezeichnung des Versicherungswertes läuft und wie er dieser Gefahr begegnen kann. Zu einer ordnungsgemäßen Belehrung des Versicherungsnehmers durch den Versicherer gehört nach der vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung der Hinweis, dass ein im Bauwesen nicht sachverständiger Versicherungsnehmer mit der Bestimmung des richtigen Versicherungswertes 1914 in aller Regel überfordert sein wird und dass es sich aus diesem Grund empfehlen kann, einen Sachverständigen hinzuzuziehen.

Erteilt ein Versicherer dem Versicherungsnehmer keinen solchen Hinweis, ist er dem Versicherungsnehmer bei Eintritt eines Schadens zum Schadenersatz verpflichtet. Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer im Schadenfall dann so zu stellen, wie wenn er ihn ordnungsgemäß beraten hätte. Im Endeffekt bedeutet dies, dass sich der Versicherer nicht auf eine etwaige Unterversicherung berufen kann.

3.2 Mögliche Maklerhaftung bei Unterversicherung

Wie Versicherer selbst, können jedoch auch Versicherungsmakler ihren Kunden zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sein. Dies dann, wenn sie die relativ weitgehenden Beratungspflichten ihrer Kunden bei Eingehung eines von ihnen vermittelten Versicherungsvertrags verletzen. 

Der Versicherungsmakler ist nicht nur zum Abschluss des gewünschten Versicherungsvertrags verpflichtet, sondern gilt im Hinblick auf den Versicherungsschutz als Vertrauter und Berater des Versicherungsnehmers und nimmt diesem gegenüber die Stellung eines treuhänderischen Sachwalters ein[4]. Aus diesem Grund treffen einen Versicherungsmakler weitgehende Aufklärungs- und Beratungspflichten[5]. Der Verssicherungsmakler ist verpflichtet seinem Kunden den bestmöglichen Versicherungsschutz zu beschaffen und diesen aufrecht zu erhalten. In diesem Rahmen ist er zur Beratung und Betreuung seines Kunden verpflichtet. Er hat den individuellen, für das Objekt passenden Versicherungsschutz zu besorgen, wobei er das zu versichernde Risiko von sich aus untersuchen und das Objekt prüfen muss[6]. Zu seinen Pflichten gehört unter anderem die Deckungsanalyse, d. h. die Ermittlung der richtigen Versicherungsart und der bedarfsgerechten Versicherungssumme[7].

Auf dieser Grundlage kann ein Versicherungsmakler seinem Kunden auf Schadensersatz haften, wenn er bei Abschluss des Vertrages seinen Kunden nicht umfassend zur richtigen Feststellung der Versicherungssumme beraten hat. Dass OLG Hamm[8] beispielsweise verurteilte eine Versicherungsmaklerin aufgrund der Verletzung der ihr obliegenden Betreuungspflichten zur Leistung auf Schadensersatz an ihren Kunden. Nach Auffassung des OLG Hamm hatte die Versicherungsmaklerin es versäumt, ihrer Kundin eine Gebäudeversicherung mit einer eine Unterversicherung ausschließenden Versicherungssumme zu vermitteln, also einer Versicherungssumme, die die Wiederherstellungskosten für den zerstörten Altbau vollständig abdeckt. Als der Versicherungsfall eintrat, kürzte der Versicherer die Versicherungsleistung aufgrund der Unterversicherung. Den hierdurch entstandenen Schaden hat die Versicherungsmaklerin ihrer Kundin zu ersetzen.

Das OLG Hamm begründetet seine Entscheidung damit, dass nach dem von den Parteien für das Umbauvorhaben abgeschlossenen Versicherungsmaklervertrag die Versicherungsmaklerin ihrer Kundin bestmöglichen Versicherungsschutz zu besorgen hatte (best price and best advice). Dem sei die Versicherungsmaklerin nicht nachgekommen.

Dieses Beispiel aus der obergerichtlichen Rechtsprechung zeigt auf, dass Versicherungsmakler bei der Festlegung einer ausreichenden Versicherungssumme weitreichende Beratungspflichten treffen. Bei Verletzung dieser Beratungspflichten und bei Eintritt eines Versicherungsfalles, bei welchem sich der Versicherer zu Recht auf Unterversicherung berufen kann, haftet der Versicherungsmakler seinem Kunden auf Schadensersatz.

4. Fazit

Bei Eintritt eines versicherten Schadenfalles wenden Versicherungsgesellschaften mitunter Unterversicherung ein. Dies kann für Versicherungsnehmer eine Kürzung der Versicherungsleistung nach sich ziehen. 

Unterversicherung ist am besten dadurch zu verhindern, indem bei Abschluss eines Versicherungsvertrages größtmögliche Sorgfalt auf die Vereinbarung einer Versicherungssumme in ausreichender Höhe verwandt wird. Dabei treffen sowohl die Versicherungsgesellschaft selbst als auch Versicherungsmakler weitgehende Beratungspflichten. Eine Verletzung dieser Beratungspflichten kann zur Schadensersatzpflicht des Versicherers oder des Versicherungsmaklers führen. 

In Fällen, in welchen sich eine Versicherungsgesellschaft auf Unterversicherung beruft und auf dieser Grundlage nur dazu bereit ist, einen Teil des Schadens zu ersetzten, sollte Sie auf jeden Fall fachkundiger Rat einholen.

Autorin: Petra Ruf

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 05-2020

Literatur:

[1] Vergleichbare Regelungen finden sich in einer Vielzahl von Versicherungsbedingungen, u.a. Abschnitt A § 8 Ziffer 4 AFB 2010; Abschnitt A § 13 Abs. 9 VGB 2008/2010 und Abschnitt A §8 Abs. 4 AERB 2010.

[2] Eine entsprechende Regelung sieht beispielsweise Abschnitt A § 8 Nr. 6 AFB 2008/2010 vor.

[3] BGH, Beschluss vom 3. Februar 2011 zum Aktenzeichen IV ZR 171/09, in r+s 2011, 250

[4] Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Mai 1985 zum Aktenzeichen IV ZR 190/83, NJW 1985, 2595

[5] Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. 6. 2007 zum Aktenzeichen III ZR 269/06

[6] BGH, NJW 1985, 2595

[7] Benkel/Reusch, VersR 1992, 1302 [1309]

[8] Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 30. April 2012 zum Aktenzeichen I-18 U 141/06

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