Schadenregulierung: Oft herausfordernd, nicht immer harmonisch
Schadenregulierung: Oft herausfordernd, nicht immer harmonisch
Im Schadenfall zeigt sich der Wert des eingekauften Versicherungsschutzes ebenso wie die Belastbarkeit der Beziehung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer. Insbesondere Großschadenfälle bergen juristischen Konfliktstoff.
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Dr. Fabian Herdter, LL.M. Eur.
Wie reibungslos verläuft die Schadenregulierung in der Industrieversicherung? Als Rechtsanwälte sind wir in dieser Frage die falschen Ansprechpartner. Denn auf unserem Schreibtisch landen überwiegend die Versicherungsfälle, in denen gerade nicht alles reibungslos verläuft. Unser Blick ist folglich getrübt, was die Beurteilung einer allgemeinen Qualität der Schadenregulierung betrifft. Die Fälle, die wir begleiten dürfen, geben jedoch Aufschluss darüber, welche Fallstricke in der Industrieschadenregulierung lauern und was Unternehmen im Schadenmanagement beachten müssen, um Konflikte möglichst zu vermeiden.
Wo also liegen aktuell die größten Konfliktpotenziale in der Schadenregulierung? Ein Blick über unsere Schreibtische in die Problemfelder ausgewählter Sparten der Industrieversicherung:
D&O-Versicherung
Die Managerhaftpflichtversicherung und ihre rechtlichen Streitfragen werden vielfach diskutiert. Etwas in den Hintergrund rückt dabei die Tatsache, dass die Schadenregulierung in D&O-Streitigkeiten das wohl persönlichste – und damit emotionalste – Feld der Industrieversicherung ist. Manager, die bis vor kurzem noch an der Spitze eines Konzerns standen, müssen sich nun ganztägig mit ihrer Verteidigung gegen eine Forderung auseinandersetzen, die sie persönlich ruinieren könnte. Entscheidungsträger, die gestern noch zusammenarbeiteten, müssen sich plötzlich den Streit verkünden. Die Schadenregulierung in Organhaftungsfällen ist für alle Beteiligten eine Belastungsprobe.
Es ist daher nicht überraschend, dass mittlerweile in vielen D&O-Versicherungsfällen die Option der Abtretung von Versicherungsansprüchen vom Manager an das vermeintlich geschädigte Unternehmen zumindest diskutiert wird. Gerade dort, wo das Unternehmen mit dem Manager grundsätzlich gern weiter zusammenarbeiten möchte, ist die Abtretung eine Chance und kann den sozialen Frieden im Unternehmen aufrechterhalten.
Konflikte mit dem Versicherer treten – davon unabhängig – oft schon früh im D&O-Versicherungsfall auf. Nicht selten stellt sich der Versicherer bereits bei der Auswahl und Freigabe der Stundensätze der Verteidigeranwälte quer. Für den versicherten Manager, der sein Vermögen verständlicherweise möglichst professionell verteidigt wissen möchte, folgt dann eine oft monatelange Hängepartie. Viele Versicherte bleiben auf einem Teil ihrer Verteidigungskosten sitzen.
Der in Anspruch genommene Manager gerät durch derartige Verzögerungen in das Hintertreffen. Denn ein weiteres aktuelles Problem der D&O-Schadenregulierung ist das Windhundprinzip: Werden mehrere Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer gleichzeitig in Anspruch genommen, verteilt der Versicherer die Deckung nach dem Prinzip first come, first serve. Dieses Vorgehen ist in der Regel für die meisten beteiligten Manager höchst unbefriedigend. Es mangelt an Transparenz darüber, wie viel Deckungssumme zu welchem Zeitpunkt noch zur Verfügung steht und an wen die bisherigen Zahlungen gegangen sind. Die Frage wird umso virulenter, wenn über die Strafrechtsausschnittsdeckung der D&O-Versicherung auch die Strafverteidigerhonorare der Manager erstattet werden. Dann kann die Grunddeckungssumme des Primary schnell verbraucht sein, ohne dass die zivilrechtliche Auseinandersetzung überhaupt gestartet ist (der Fall Wirecard lässt grüßen).
Neben der Fragen der Verteidigungskosten kommt es in D&O-Fällen häufig zum Einwand des Versicherers, der Manager habe seine Pflichten wissentlich verletzt. Streitigkeiten um diesen Einwand stellen eine Mehrzahl der deckungsrechtlichen Auseinandersetzungen in D&O-Fällen dar. Aktuelle Diskussionen über mögliche Kardinalpflichten des Managements gießen in dieser Frage zusätzliches Öl ins Feuer, auch wenn die Rechtswissenschaft diesem abstrusen Standard-Vorwurf erfreulicherweise einen dogmatischen Riegel vorgeschoben hat (Korch/Lüttringhaus, Kardinalpflichten und D&O-Versicherung: Ein kardinales Missverständnis? VersR 2024, 537-550). Die weiteren Entwicklungen in der Managerhaftpflicht versprechen aber in jedem Fall spannend zu bleiben.
Cyber- und Vertrauensschäden
Sowohl in Cyber- wie auch in Vertrauensschadenfällen erleben wir regelmäßigen Streit über die fehlgeschlagene Schadenvermeidung des Versicherungsnehmers. Diese ist den Versicherungsfällen in beiden Sparten immanent, denn ohne Schwachstelle in der IT-Sicherheit käme es zu keinem Cyberschaden und ohne Schwachstelle in der Compliance käme es zu keinem Vertrauensschaden. Dann wären aber auch beide Versicherungen obsolet.
Der Einwand der vermeintlich grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch mangelnde IT-Sicherheit bzw. Compliance verzögert die Schadenregulierung mitunter empfindlich. In neueren Bedingungen ist dieser Einwand erfreulicherweise häufig ausgeschlossen, was wir im Hinblick auf die Vertrauensschadenversicherung schon lange angeregt hatten (Herdter/Winkler, Kein Vertrauen in die Vertrauensschadenversicherung von Unternehmen: deckungsschädliche Einwendungen der Versicherer im Schadenfall, BB 2016, 2056).
Gut gemeinte externe Gutachten, die den Schadenverlauf analysieren und Schwachstellen aufzeigen sollen, um zukünftige Schäden zu verhindern, können im Schadenfall Wasser auf die Mühlen der Argumentation des Versicherers bedeuten. Im besten Fall kann die Aufklärung der Schadenursache aber auch dem Versicherungsnehmer helfen. Nur sie ermöglicht den Kausalitätsgegenbeweis, also die Beweisführung, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn die angeblichen Missstände nicht vorgelegen hätten.
In der Cyberversicherung kommen in der Schadenregulierung Diskussionen darüber hinzu, ob der Versicherungsnehmer alle technisch-organisatorischen Maßnahmen, die der Versicherungsvertrag vorschrieb, einhielt. Auch ein derzeit immer wiederkehrendes Streitthema ist, ob bei Vertragsschluss alle Fragen des Versicherers zur Risikosituation des Versicherungsnehmers korrekt beantwortet wurden und ob ein Repräsentant des Unternehmens den Fragebogen unterzeichnete.
Die Schadenregulierung wird gerade in der Cyberversicherung durch das junge Alter der Sparte erschwert: Allen Seiten fehlen langjährige Erfahrungswerte, die Angriffsmethoden von Hackern ändern sich regelmäßig, neue Einfallstore und Probleme eröffnen sich fast im Wochentakt. Für Versicherungsnehmer, Versicherer und Versicherungsmakler stellt das eine besondere Herausforderung dar. Verbesserungen im Schadenmanagement sind möglich, wenn alle Seiten dazulernen.
Produkthaftpflicht
In der Schadenregulierung in der Produkthaftpflicht kommt es zu zahlreichen Auseinandersetzungen unterschiedlichster Ausprägung. Im Vordergrund steht hier meist zunächst die gerichtliche Haftpflichtabwehr, bei der der Versicherer und der versicherungsnehmende Produzent (oder Händler) im besten Fall an einem Strang ziehen. Fragen des Regresses gegenüber Dritten (z.B. Komponenten-Zulieferern) werden ebenfalls in diesem Zusammenhang aufgeworfen und können den Abschluss der Schadenregulierung verzögern.
Auch aufgrund ihrer technischen Komplexität benötigen Produkthaftpflichtfälle meist Jahre bis zur vollständigen Klärung. Nicht verwunderlich ist es vor diesem Hintergrund, dass das am längsten währende Dauermandat unserer Schadenregulierungspraxis ein Produkthaftpflichtfall ist, in dem wir seit mehr als 13 Jahren ein versichertes Unternehmen im Auftrag des Produkthaftpflichtversicherers gegen eine Millionenforderung verteidigen. Immerhin erfreulich für den Versicherer ist, dass der Gerichtsstand in diesem Fall in Deutschland ist, auch wenn die deutschen Gerichte die Sache nicht wirklich vorangetrieben haben.
Produkthaftpflichtfälle in den USA verschlingen meist ein Vielfaches an Verteidigungskosten. Häufig trüben hohe Anwaltsrechnungen der US-Kanzleien das Verhältnis zwischen deutschem Haftpflichtversicherer und dem Versicherungsnehmer – bis hin zum Streit über die Angemessenheit der Verteidigungskosten. Ein Streit, der sich auch in der Industrie-Strafrechtsschutzversicherung findet.
Auch deckungsrechtliche Konflikte können bereits in der Verteidigungsphase des Produkthaftungsfalls aufkommen. Mit gewisser Regelmäßigkeit sehen wir hier den Einwand des Erprobungsausschlusses: Das ausgelieferte Produkt sei nicht ausreichend erprobt gewesen. Bei komplexen Sonderanfertigungen kann dann streitig zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer sein, was eine ausreichende Erprobung nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik gewesen wäre. Ein Beispiel aus unserer Prozessvertretung: Unser Mandant stellte Industrie-Lacke in diversen Rezepturen her. Durch verschiedene Farbmischungen waren praktisch unbegrenzt unterschiedliche Zusammensetzungen denkbar. Benötigte jede dieser Zusammensetzungen eine erneute Erprobung – und falls ja, in welcher Tiefe? Ohne das Hinzuziehen externen technischen Sachverstands sind solche Fragen zwischen den Parteien kaum zu klären.
Sach- und Technische Versicherungen
Die größten Schadenvolumen sehen wir weiterhin in den Sach- und Technischen Versicherungen, insbesondere in der Bauleistungsversicherung, der Montageversicherung und der klassischen Feuer-BU. Abgebrannte Fabrikhallen und verzögerte Bauprojekte führen schnell – und mit jedem weiteren Tag anwachsend – zu hohen Millionenschäden. Entsprechend hoher Druck liegt auf allen Parteien, die neben dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer häufig auch weitere mitversicherte Unternehmen einschließen, insbesondere in der Projektversicherung. Die Herausforderung im Schadenmanagement derartig komplexer Großschäden liegt deshalb vor allem in der konstruktiven Zusammenarbeit und Verhandlung zwischen allen Beteiligten.
Dabei sind neben den versicherungsrechtlichen Streitfragen in umfangreichen Bau- und Montageprojekten auch immer haftungsrechtliche Implikationen zwischen den Projektpartner zu berücksichtigen. Kommen dann auf Seiten der Versicherer ebenfalls mehrere Parteien mit unterschiedlicher Auffassung über die kritischen Deckungsfragen ins Spiel, kann dies zu weiteren (mitunter mehrjährigen) Verzögerungen der Regulierung führen.
Konfliktpotenzial birgt gerade bei großvolumigen Sach- und Betriebsunterbrechungsschäden die konkrete Berechnung des Schadens. Die Vielzahl von Kostenpositionen stellen eine Herausforderung für die Schadenregulierung dar. Über die Frage, welche Kosten unter die Deckung fallen und in welchem Umfang die Ausgaben notwendig sowie angemessen waren, gibt es regelmäßig Streit zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer – etwa, wenn die Wiederherstellung deutlich teurer wird als erwartet. Leider ist mittlerweile auch ein gemeinsames Sachverständigenverfahren kein Garant für eine harmonische Schadenabwicklung.
Wie zu erwarten kommen dann auch in der Sachversicherung mitunter noch Auseinandersetzungen über vermeintliche Obliegenheitsverletzungen auf. Insbesondere Generalklauseln, die den Versicherungsschutz an die Einhaltung aller gesetzlichen und behördlichen Sicherheitsvorschriften knüpfen, sind regelmäßiges Einfallstor für Leistungskürzungen des Versicherers. Die Entkräftung solch pauschaler Einwände kostet das versicherte Unternehmen, das durch den Großschaden ohnehin belastet ist, viel Zeit und Ressourcen. Selbst die Entscheidungsträger jener Unternehmen, die alle technischen und betriebswirtschaftlichen Aspekte des Schadenmanagements gut organisieren, unterschätzen oft den Zeit- und Kostenaufwand für die verwaltungstechnische und rechtliche Schadenabwicklung.
Fazit
Die vorangehenden Schilderungen können aus Platzgründen nur einen kleinen Teil dessen abdecken, was im Schadenfall an Streitthemen aufkommen kann. Die Liste der versicherungsrechtlich strittigen Themen ließe sich beliebig fortsetzen, etwa wenn grenzüberschreitende Aspekte ins Spiel kommen oder wenn Streitfragen neben dem Versicherungsrecht noch weitere Rechtsgebiete wie das Gesellschaftsrecht, Baurecht oder Strafrecht betreffen. Hier lohnt es sich für versicherte Unternehmen immer, frühzeitig nach Schadeneintritt externen Rat aus unterschiedlichen Disziplinen (Technik, Betriebswirtschaft, verschiedene Rechtsgebiete etc.) hinzuzuziehen.
Spartenübegreifend lässt sich festhalten, dass im Besonderen zwei Faktoren konfliktvermeidende Wirkung haben können: Dokumentation und Kommunikation. Versicherungsnehmer, die ihre internen Prozesse sowohl vor wie auch nach Eintritt des Schadenfalls umfangreich dokumentieren (und systematisch auffindbar machen), sind klar im Vorteil. Eine gute Dokumentation kann helfen, den Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung zu entkräften, sie kann die Schadenberechnung erleichtern und hilft dabei aufzuklären, was in welchem Umfang versichert wurde – und unter welchen Absprachen.
Konstruktive Kommunikation wiederum ist unabdingbar, um Missverständnisse zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer zu vermeiden. Das ist insbesondere unmittelbar nach Schadeneintritt von besonderer Bedeutung, etwa um Schadenminderungsmaßnahmen abzustimmen oder einen gemeinsamen Fahrplan zur schnellen Schadenabwicklung festzulegen. Denn ein schneller und vollständiger Abschluss der Schadenregulierung sollte auch im Konfliktfall stets im Interesse aller Beteiligten sein.
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