Umfang und Grenzen der Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

Nach Eintritt des Versicherungsfalls müssen Versicherungsnehmer zur Aufklärung beitragen und die Informationsbitten des Versicherers erfüllen. Aber wie weit reicht die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers?

Nach § 31 Absatz 1 VVG trifft den Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls eine Auskunftspflicht gegenüber dem Versicherer. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer auf Verlangen jede Auskunft zu erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist. Diese Auskunftspflicht ist in der Regel, teils mit abweichendem Wortlaut, ausdrücklich im Versicherungsvertrag enthalten.

Abhängig vom Informationsgehalt der Schadenanzeige und vom Schadenfall, fragt der Versicherer nach Anzeige des Versicherungsfalles weitreichende Informationen ab. Er verlangt Informationen zum Schadenhergang, rechtlichen Beziehungen zwischen Versicherungsnehmer, Geschädigtem und/oder versicherter Person, zur beschädigten Sache, zur internen Organisation des Versicherungsnehmers, internen Korrespondenz vor und nach dem Schadenfall, internen Kalkulationen, genauen Grundlagen der Schadenberechnung, bestehendem anderweitigen Versicherungsschutz oder ggf. im Fall einer Exzedentenversicherung nach der Schadenregulierung durch den Versicherer der Grundpolice. 

In bestimmten Fällen kann oder will der Versicherungsnehmer dem ausdrücklichen Auskunftsbegehren des Versicherers nicht nachkommen (bspw. wegen des Aufwandes der Informationsbeschaffung). In diesem Fall muss der Versicherungsnehmer in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob er durch eine etwaige Informationsverweigerung seinen Versicherungsschutz gefährdet. Die Auskunftspflicht stellt eine Obliegenheit dar. Ein Verstoß führt unter den Voraussetzungen des § 28 VVG zu einem Leistungskürzungsrecht (grob fahrlässiger Verstoß) oder zur Leistungsfreiheit des Versicherers (vorsätzlicher Verstoß). Kannte der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt des Auskunftsverlangens eine Tatsache und teilte diese dem Versicherer nicht mit, wird das Vorliegen einer vorsätzlichen Auskunftspflichtverletzung vermutet (vgl. BGH NJW 2007, 1126). 

Vor diesem Hintergrund soll der Frage nachgegangen werden, welchen Umfang und welche Grenzen die Auskunftspflicht gegenüber dem Versicherer hat.

1. Umfang der Auskunftspflicht

Der Umfang der Auskunftspflicht bestimmt sich maßgeblich nach dem Auskunftsverlangen des Versicherers. 

1.1 Auskunftsverlangen des Versicherers

Der Versicherungsnehmer muss die Auskunft grundsätzlich nur auf Verlangen des Versicherers erteilen. 

Verlangen des Versicherers:

Das Verlangen des Versicherers nach Auskunft muss nicht ausdrücklich erfolgen. Es reicht aus, wenn das Auskunftsverlangen konkludent zum Ausdruck kommt. Übersendet der Versicherer dem Versicherungsnehmer zum Beispiel ein Formular zur Schadenanzeige, liegt darin das konkludente Verlangen auf Auskunftserteilung.

Stellt der Versicherer Fragen, muss ihnen klar zu entnehmen sein, welche Information er erhalten möchte. Es liegt keine Verletzung der Auskunftspflicht vor, wenn die dem Versicherungsnehmer gestellten Fragen unklar sind und er sie in der von ihm beantworteten Weise verstehen durfte (BGH r+s 1989, 5). Für die Frage, wie der Versicherungsnehmer die Frage des Versicherers verstehen durfte, ist von den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, an der Aufklärung des Versicherungsfalles interessierten Versicherungsnehmers auszugehen. 

Ist für den Versicherer beispielsweise erkennbar, dass der Versicherungsnehmer Fragen widersprüchlich beantwortet, bereits von der (vollständigen) Beantwortung einer Frage ausgeht oder eine Frage unklar war, trifft ihn eine Rückfrageobliegenheit. Kommt der Versicherer dieser nicht nach und stellt keine Rückfrage, kann er sich nicht auf eine Auskunftspflichtverletzung berufen.

Spontane Auskunftspflicht:

In restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen kann sich eine spontane Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers ergeben. Der Versicherungsnehmer muss ungefragt Auskünfte erteilen, die für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers „in elementarer“ Weise betreffen. Die Rechtsprechung hat dies beispielsweise für den Fall angenommen, dass ein anderer Versicherer den Schaden bereits ausgeglichen hat (OLG Köln r+s 1990, 284) oder ein Insolvenzverfahren gegen den Versicherungsnehmer eröffnet wurde (BGH r+s 2011, 421). In diesen Fällen kann sich der Versicherungsnehmer nach dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242) nicht darauf berufen, der Versicherer habe diese Auskunft nicht verlangt. Die Verletzung der spontanen Aufklärungspflicht führt zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

1.2 Erforderliche Auskünfte

Zusätzlich zu den in der Schadenanzeige übermittelten Informationen kann der Versicherer nur die Auskünfte verlangen, die zur Ermittlung seiner Eintrittspflicht (Feststellung des Versicherungsfalls und Umfang des Schadens) erforderlich sind und die der Versicherungsnehmer im Stande ist zu beantworten. Weiterhin muss dem Versicherungsnehmer die Beantwortung zumutbar sein.

Bestimmung der Erforderlichkeit:

Die Bestimmung, welche Angaben erforderlich sind, richtet sich in erster Linie nach der Auffassung des Versicherers (BGH r+s 2006, 185, 186). 

Sinn und Zweck der Auskunftspflicht ist es, dem Versicherer die Überprüfung seiner Eintrittspflicht zu ermöglichen und ihn in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen. Er entscheidet daher, welche Sachverhaltsangaben er benötigt. 

Der Versicherungsnehmer muss jedoch nicht jede Auskunft erteilen, die der Versicherer für erforderlich hält. Erforderlich kann eine Information nach einem objektivierten Maßstab nur sein, wenn sie unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die rechtmäßige Regulierungspraxis des Versicherers hat oder haben kann. Die Verweigerung einer nicht erforderlichen Auskunft stellt keine Obliegenheitsverletzung dar. Als nicht erforderlich gelten bspw. Auskünfte, die ausschließlich zur Aufdeckung oder dem Nachweis einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung dienen, aufgrund derer der Versicherer den Versicherungsvertrag anfechten will. Die Frage zu Verdächtigungen ist ebenfalls nicht erforderlich.

Erteilt der Versicherungsnehmer die verlangte Auskunft unter Berufung auf mangelnde Erforderlichkeit nicht und beruft sich der Versicherer im Streitfall auf Leistungsfreiheit, muss der Versicherer die Erforderlichkeit der Auskunft behaupten und beweisen. 

Informationen zur Feststellung des Versicherungsfalles:

Zur Feststellung des Versicherungsfalls erforderliche Angaben sind beispielsweise Angaben zu Ort, Zeit und Hergang des Schadeneintritts, zur Schadenursache und zu beteiligten Personen, geschäftlichen Rechtsverhältnissen zu Dritten, Lieferanten oder Verpfändungen der geschädigten Sache. Welche Informationen hierzu gehören, bestimmt sich maßgeblich nach der Art des Versicherungsvertrages.

Informationen zur Feststellung des Schadenumfangs:

Zur Feststellung des Schadenumfangs sind Informationen zu Wert und Beschaffenheit der betroffenen Sache (Anschaffungspreis, Herstellungsjahr, Laufleistung), einschließlich eventueller Vorschäden, zum Stand eines Strafverfahrens von Belang. Je nach Versicherungsart gehören hierzu auch Informationen zur Offenlegung von Verbindlichkeiten des Versicherungsnehmers und der Art der Schadenberechnung (z.B. interne Kalkulationsdaten).

Anderweitiger Versicherungsschutz:

Im Rahmen seiner Auskunftspflicht muss der Versicherungsnehmer den Versicherer über das Bestehen anderweitiger Versicherungen aufklären. 

Der Schadenumfang und die Höhe der Eintrittspflicht des Versicherers hängen vom Bestehen anderweitigen Versicherungsschutzes ab. Im Fall der Mehrfachversicherung (§ 78 VVG) trifft den Versicherer ggf. nicht die volle Leistungspflicht. Zudem sehen Subsidiaritätsklauseln im Versicherungsvertrag vor, dass der Versicherer nur eintrittspflichtig ist, wenn der Versicherungsfall nicht durch eine andere Versicherung gedeckt wird. Die Frage des Versicherers nach dem Bestehen anderweitiger Versicherungen und dem Deckungsumfang, die dasselbe Risiko decken, ist daher erforderlich. 

Exzedentenversicherung:

Den Versicherungsnehmer trifft auch gegenüber dem Exzedentenversicherer eine Auskunftspflicht. Die oben dargelegten Grundsätze über die zu erteilenden erforderlichen Auskünfte gelten im Rahmen des Exzedentenversicherungsvertrages entsprechend. In der Exzedentenversicherung hängt die Eintrittspflicht und die Höhe der Leistungspflicht des Exzedentenversicherers davon ab, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe der Erstversicherer (oder zwischengeschaltete Exzedentenversicherer) den Schadenfall reguliert. Auskünfte zu den Regelungen der Erstversicherung, dem Regulierungsprozess und -verhalten des Erstversicherers sind daher gemäß § 31 Absatz 1 VVG erforderlich.

Informationen zu Obliegenheitsverletzungen:

Der Versicherer kann auch Auskunft über Tatsachen verlangen, die es ihm erst ermöglichen, sich auf Leistungsfreiheit zu berufen (BGH r+s 2006, 185). Daher muss der Versicherungsnehmer auch Auskünfte erteilen, die für ihn nachteilig sind und eine etwaige Obliegenheitsverletzung oder eine nicht angezeigte Gefahrerhöhung begründen. 

1.3 Fragen zur Beurteilung des subjektiven Risikos

Der Umfang der Auskunftspflicht erstreckt sich auch auf solche Fragen, die zur Beurteilung des subjektiven Risikos dienlich sind. Zulässig sind demnach Fragen zur Abklärung der Betrugswahrscheinlichkeit. Darunter sind beispielsweise Fragen nach den Vermögensverhältnissen des Versicherungsnehmers zu verstehen, in Abhängigkeit von der Versicherungsart und dem Schadenfall auch Fragen zum Inhalt der Bilanz, rechtskräftigen Schuldtiteln oder der Höhe von Bankverbindlichkeiten.

1.4 Erkundigungspflicht des Versicherungsnehmers

Grundsätzlich muss der Versicherungsnehmer nur über Umstände informieren, von denen er Kenntnis hat. Ausnahmsweise trifft den Versicherungsnehmer aber eine Erkundigungspflicht über mitzuteilende Tatsachen, wenn er diese zwar nicht positiv kennt, aber Anhaltspunkte hat, die ernsthaft auf das Vorliegen der erfragten Tatsachen schließen lassen. Zum Beispiel müsste sich der Versicherungsnehmer einer Sachversicherung über den Stand eines behördlichen Verfahrens erkundigen, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass bspw. die zerstörte Produktionsanlage aufgrund behördlicher Verfügung stillgelegt werden sollte.

2. Grenzen der Auskunftspflicht

Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers endet, wenn der Versicherer seine Eintrittspflicht ablehnt oder der Versicherer bereits Kenntnis von den erfragten Tatsachen hat.

2.1 Ablehnung der Eintrittspflicht

Der Versicherungsnehmer ist von der Auskunftspflicht befreit, wenn der Versicherer die Leistung endgültig verweigert (BGH VersR 1992, 345; 1989, 842). Verweigert der Versicherer die Leistung, besteht seinerseits kein Interesse mehr an der Ermittlung des Versicherungsfalls oder des Umfangs seiner Leistungspflicht. Die Leistungsverweigerung muss der Versicherer nicht ausdrücklich anzeigen. Sie kann konkludent erfolgen. Erhebt der Versicherungsnehmer Klage auf die Versicherungsleistung und stellt der Versicherer Klageabweisungsantrag, so liegt hierin die konkludente Leistungsverweigerung.

Das Aufklärungsinteresse des Versicherers entsteht erneut, wenn der Versicherer wieder in die Prüfung seiner Leistungspflicht eintritt oder er zur Deckung verurteilt wurde. In diesem Fall lebt die Auskunftspflicht nach § 31 Absatz 1 VVG wieder auf. Der Versicherungsnehmer ist dem Versicherer gegenüber wieder auskunftspflichtig (BGH VersR 1991, 1129; BGH Beschluss r+s 2011, 421). 

2.2 Kenntnis des Versicherers

Der Versicherungsnehmer ist nicht zur Auskunft verpflichtet, wenn der Versicherer Kenntnis der erfragten Tatsache hat. Der Versicherer hat kein Aufklärungsinteresse, da die erfragte Tatsache nicht für Feststellung des Versicherungsfalles oder den Umfang seiner Leistungspflicht erforderlich ist (BGH r+s 2005, 143). Die Kenntnis des Versicherers kann sich aus der Regulierung vorhergehender Versicherungsfälle, der Abfrage von Daten über den Versicherungsnehmer aus Datenbanken oder aus den vorvertraglichen Informationen ergeben. 

Bei der Verweigerung einer Information wegen Kenntnis des Versicherers ist jedoch Vorsicht geboten. Der Versicherer muss sichere und vollständige Kenntnis der Tatsache im Zeitpunkt des Auskunftsverlangens haben. Es ist nicht ausreichend, dass der Versicherer aufgrund der ihm vorliegenden Informationsbasis lediglich hätte erkennen können und müssen (BGH r+s 2007, 147). 

3. Fazit

Die Auskunftspflichten des Versicherungsnehmers sind weitreichend. Ihr Umfang bestimmt sich maßgeblich nach dem Auskunftsverlangen des Versicherers. 

Der Versicherungsnehmer sollte zur Vermeidung von Obliegenheitsverletzungen grundsätzlich von der Erforderlichkeit der verlangten Auskunft ausgehen. Will der Versicherungsnehmer eine Auskunft nicht erteilen, muss er die Berechtigung der Informationsverweigerung genau prüfen, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden.

Autorin: Dr. Anja Mayer

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 07-2012

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