Versicherungsschutz für Mehrkosten durch Preissteigerungen

Die jüngsten Preissteigerungen für Baustoffe, Maschinen und Material stellen Unternehmen bei der Wiederherstellung nach einem Großschaden vor besondere Herausforderungen. Allein seit 2020 stiegen die Stahlpreise um mehr als 50 Prozent, die Holzpreise sogar um mehr als 100 Prozent. Jede Verzögerung der Wiederherstellung – etwa durch Lieferengpässe, behördliche Auflagen oder langwierige Sachverständigenverfahren – wirkt sich angesichts dieser rasanten Dynamik auf die Gesamtkosten der Schadensbeseitigung aus. 

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Für Entscheidungsträger der versicherten Unternehmen stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob und wenn ja inwieweit Preissteigerungen nach Eintritt des Schadenfalls vom Versicherungsschutz etwa der Gebäudeversicherung, der Montageversicherung oder der Inhaltsversicherung gedeckt sind.

1. Projektversicherungen: Unvermeidbare Mehrkosten gedeckt

Großprojekte wie die Entwicklung, Errichtung und Fertigstellung etwa einer Fabrikanlage oder Produktionsstätte sind in der Regel durch Montage- und Bauleistungsversicherungen gedeckt. In derartigen Projektversicherungen muss das versicherte Interesse Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage sein, inwieweit Preissteigerungen während der Schadenregulierung vom Versicherungsschutz umfasst sind.

1.1 Versichertes Interesse in Projektversicherungen

Der BGH [1] hält zur Bauleistungsversicherung wie folgt fest: 

„Die Bauleistungsversicherung soll den Bauunternehmer des Wagnisses von Schäden entheben, die ihm dadurch entstehen, dass die versicherte Bauleistung bis zur Abnahme oder einem vereinbarten anderen Zeitpunkt - beschädigt oder zerstört werden. […] Der Unternehmer soll davor bewahrt werden, aufgrund von unvorhergesehenen Ereignissen eine bereits ordnungsgemäß ganz oder teilweise erbrachte Bauleistung nochmals auf seine Kosten erbringen zu müssen, um die vereinbarte Vergütung zu erhalten.“ 

Damit hat der BGH anerkannt, dass das versicherte Unternehmen die Bauleistungsversicherung abschließt, um im Schadenfall wirtschaftlich wie ohne den Schadenfall dazustehen. Das versicherte Interesse beschränkt sich daher nicht darauf, nur die bis zum Schadenfall getätigten Aufwendungen ersetzt zu erhalten. Der Zweck der Bauleistungsversicherung würde verfehlt, wenn Mehrkosten wegen Preissteigerungen das versicherte Unternehmen bei der Wiederherstellung in erheblichem Maße belasten. 

Preissteigerungen, die während der erforderlichen Dauer der Wiederherstellungsmaßnahmen (also einschließlich der Dauer erforderlicher Aufräumungs- und sonstigen Vorarbeiten, der Planung und Genehmigung, des Studiums der Bezugsquellen bzw. Preisverzeichnisse und unvermeidlicher Lieferzeiten) entstehen, sind somit mitversichert. [2]

1.2 Grenze: vermeidbare Mehrkosten

Die Deckungspflicht des Versicherers ist beschränkt auf die objektiv erforderlichen Wiederherstellungskosten. Somit sind vermeidbare Mehrkosten nicht umfasst.

Doch was sind vermeidbare Mehrkosten? Was passiert beispielsweise, wenn die Wiederherstellungskosten explodieren, weil der Versicherer vertragswidrig die Akontozahlungen (= Vorauszahlungen) gemäß § 14 Absatz 2 VVG nicht leistet?

Sofern das versicherte Unternehmen in mindestens fahrlässiger Weise die Wiederherstellung verzögert, ist der Fall einfach. Die gestiegenen Wiederherstellungskosten waren vermeidbar und sind deswegen nicht von dem Versicherer zu tragen.

Nach Ansicht von Literaturstimmen soll der Versicherer auch dann nicht für gestiegene Kosten einstehen müssen, wenn er die Vorauszahlung nach § 14 VVG zwar vertragswidrig verweigerte, das versicherte Unternehmen die Wiederherstellung aber selbst hätte vorfinanzieren können.[3] Selbst wenn man eine solche Pflicht des Versicherungsnehmers zur Vorfinanzierung annimmt, bleibt in diesen Fällen eine Schadenersatzpflicht des Versicherers möglich (siehe hierzu Ziffer 3).

1.3 Besonderheiten in der Bauleistungsversicherung

Besonders praxisrelevante Bausteine der Projektversicherung sind die Montage- und die Bauleistungsversicherung. Unter der Montageversicherung als technische Projektversicherung sind unvermeidbare Mehrkosten unstreitig versichert.[4]

Bauleistungsversicherungen jedoch knüpfen regelmäßig an ein im Bauvertrag vereinbartes Leistungsverzeichnis an. Dies kann die ersatzfähigen Wiederherstellungskosten begrenzen.  

Jedoch kann der Versicherer auch in einem solchen Fall verpflichtet sein, über das Leistungsverzeichnis hinausgehende Wiederherstellungskosten zu ersetzen. Das ist nach unserer Auffassung etwa dann der Fall, wenn das Leistungsverzeichnis in einer nicht mehr verhältnismäßigen Weise die Wiederherstellungskosten widerspiegelt.

Der Versicherer kann also nicht sein Leistungsversprechen (Ersatz für Kosten zur Wiederherstellung eines technisch gleichwertigen Zustandes) durch eine solche Bestimmung beschränken, wenn das zu einer unbilligen Benachteiligung des Versicherungsnehmers führen würde. 

1.4 Ergebnis

Gestiegene und für das versicherte Unternehmen unvermeidbare Wiederherstellungskosten sind grundsätzlich vom Deckungsumfang der Versicherung von Bau- und Montageprojekten umfasst. Selbst wenn der Versicherer in der Bauleistungsversicherung die Deckung für Wiederherstellungskosten mittels einer Bindung an das Leistungsverzeichnis zu begrenzen sucht, gelingt ihm dies nicht uneingeschränkt.

2. Sachversicherungen: Mehrkostendeckung oft vertraglich geregelt

Sobald ein Unternehmen etwa über fertiggestellte Fabrikanlagen oder Produktionsstätten verfügt, versichert es diese (sowie deren Inhalte) in aller Regel gegen Beschädigung und Zerstörung. Im Schadenfall ersetzt der Versicherer bei einem Teilschaden die objektiv erforderlichen Reparaturkosten. Bei einem Totalschaden leistet der Versicherer Ersatz in Höhe des Versicherungswerts. 

2.1 Vertragliche Regelungen (Preissteigerungsklausel)

Sachversicherungen wie die Feuerversicherung enthalten häufig eine explizite Regelung für den Fall von Preissteigerungen (sogenannte „Preissteigerungsklauseln“). Nach § 5 Ziffer 1 lit. f AFB 2010 GDV (Version 01.04.2014)

[…] ersetzt [der Versicherer] bis zu der hierfür vereinbarten Versicherungssumme die infolge eines Versicherungsfalles tatsächlich entstandenen Aufwendungen für notwendige […] Mehrkosten durch Preissteigerungen

Wenn die Preissteigerungen allerdings während einer vom versicherten Unternehmen verschuldeten Verzögerung der Wiederherstellung eintreten, sind die Mehrkosten nicht gedeckt. Inwieweit Mehrkosten für den Versicherungsnehmer vermeidbar waren, ist jedoch oft streitig (s. 2.3).

2.2 Deckung auch ohne vertragliche Regelung 

Insbesondere in älteren Verträgen finden sich noch keine Preissteigerungsklauseln (so bspw. die AFB 87 in der Fassung vom Januar 2008). Aber auch ohne Preissteigerungsklausel besteht vielfach Versicherungsschutz für Preissteigerungen infolge der unweigerlichen und erforderlichen Dauer der Wiederherstellung.

Mehrkosten infolge von Preissteigerungen sind nämlich objektiv erforderliche Kosten und daher nach der heute herrschenden Ansicht in den klassischen Sachversicherungen versichert.[5] 

Zur Ersatzfähigkeit von Mehrkosten wegen behördlicher Auflagen positionierte sich der BGH 2008 klar. Die Rechtsprechung ist unseres Erachtens übertagbar auf die Mehrkosten infolge von Preissteigerungen. 

In der Entscheidung des BGH [6] heißt es: 

„Ist eine Wiederherstellung aus tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in gleicher, sondern nur noch in besserer Art und Güte möglich, so ist die nächst bessere und realisierbare Art und Güte zugrunde zu legen […]. Der zu ersetzende ortsübliche Neubauwert umfasst damit insbesondere unvermeidliche Mehrkosten […]. Das folgt aus dem Zweck der Neuwertversicherung, den VN vor den ungeplanten, ihm durch den Versicherungsfall aufgezwungenen, mit der Wiederherstellung verbundenen Kosten zu schützen, auch soweit sie den Zeitwert übersteigen (vgl. Senat vom 21. 2. 1990 VersR 1990, 488 unter 2 und BGHZ 137, 318 [326 f.] = VersR 1998, 305 [307]; Martin aaO R III Rn. 20).“ 

2.3 Grenze auch hier: vermeidbare Mehrkosten

Erst wenn das versicherte Unternehmen durch eine Verzögerung vermeidbare Mehrkosten selbst verursacht, scheidet eine Deckungspflicht aus. 

Besonders problematisch sind die Fälle, in denen der Versicherer vertragswidrig seine geschuldete Vorauszahlung verweigert, der Versicherungsnehmer aber keine Vorfinanzierung der Wiederherstellung vornehmen kann. Regelmäßig enthalten Sachversicherungsverträge nämlich auch eine Kapitalmangelklausel.

Ein Beispiel hierfür ist § 8 Ziffer 3 lit. c der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen VGB 2017:

Mehrkosten infolge von […] Kapitalmangel sind nicht versichert

Sind also gestiegene Wiederherstellungskosten nicht umfasst, wenn das versicherte Unternehmen aufgrund eines Kapitalmangels bei gleichzeitiger Verletzung der Vorauszahlungspflicht durch den Versicherer nicht unverzüglich wiederherstellt? 

Nein, denn der Kapitalmangel ist in diesen Fällen Folge des vertragswidrigen Verhaltens des Versicherers. Für die Maschinen-Betriebsunterbrechungsversicherung stellte der BGH daher schon 2005 klar [7], dass sich der Versicherer nicht auf eine Kapitalmangel-Klausel berufen kann, wenn er durch vertragswidrige Verweigerung von Versicherungsleistungen den Kapitalmangel verursachte.

Dem folgend kann sich auch der Versicherer in einer Feuer-, Gebäude- oder Inhaltsversicherung nicht darauf berufen, dass die Wiederherstellungskosten aufgrund eines Kapitalmangels gestiegen sind, wenn er selbst den Kapitalmangel durch seine vertragswidrige Regulierungspraxis mitverursachte.

3. Haftung des Versicherers 

Sollte der Versicherer durch eine langsame Regulierung oder Verweigerung der geschuldeten Vorauszahlung die Wiederherstellung verzögern, haftet der Versicherer dem versicherten Unternehmen für dadurch entstandene Schäden. 

3.1 Versicherer ist zur Schadenfeststellung verpflichtet

Die Feststellungen zum Eintritt des Versicherungsfalls und zum Umfang der Leistungspflicht obliegen dem Versicherer. Das versicherte Unternehmen muss grundsätzlich keine Feststellungen zur Schadenshöhe treffen. Dies folgt mittelbar aus den gesetzlichen Regelungen z.B. in § 14 VVG (Fälligkeit des Versicherungsanspruchs) und § 85 VVG (keine Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten des Versicherungsnehmers) sowie der Rechtsprechung des BGH [8].

3.2 Frist von maximal drei Monaten – Überschreiten als Pflichtverletzung

Die durch die Gerichte determinierte Prüffrist beträgt je nach Komplexität zwischen zwei Wochen und maximal drei Monaten [9].

Kommt der Versicherer innerhalb der Frist seiner Regulierungspflicht nicht nach, ist der Zahlungsanspruch gegen den Versicherer in dem Zeitpunkt fällig, in dem die Erhebungen zum Schadenfall bei korrektem Vorgehen – also bei ordnungsgemäßer Ermittlung – beendet gewesen wäre.[10] 

3.3 Rechtsfolge: Haftung 

Für den Fall, dass der Versicherer objektiv falsche, unnötige bzw. nicht sachdienliche oder zögerliche Erhebungen anstellt und dadurch der Abschluss der Feststellungen zum Versicherungsfall hinausgeschoben wird, befindet sich der Versicherer in Verzug und schuldet daher Verzugszinsen und Schadenersatz (§ 286 BGB). Der Schadenersatz umfasst auch die Entschädigung für Mehrkosten infolge von Preissteigerungen während der vom Versicherer verschuldeten Verzögerung.

4. Fazit und Praxisrat

Preissteigerungen sind ein Kostentreiber bei sich verzögernden Wiederherstellungsprojekten und geben mitunter Anlass zum Streit zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer. Vielfach besteht jedoch unzweifelhaft Versicherungsschutz für gestiegene Wiederherstellungskosten, etwa wenn eine vertragliche Regelung vorliegt und die Verzögerung nicht vom Versicherungsnehmer verursacht ist. Eine pauschale Ablehnung des Versicherers, Mehrkosten aufgrund von Preissteigerungen zu decken, sollten Versicherungsnehmer deshalb nicht ungeprüft akzeptieren. 

Ratsam ist zudem, alle Schritte der Wiederherstellung (etwa Wiederherstellungsplanung und Ausschreibung/Vergabe von Leistungen) detailliert zu dokumentieren. Damit kann der Versicherungsnehmer darlegen, dass etwaige Verzögerungen nicht selbstverschuldet, sondern ggf. auf Dritte zurückzuführen sind. Verzögert der Versicherer pflichtwidrig die Schadenregulierung und bleibt zudem fällige Abschlagszahlungen schuldig, so kommt auch eine Schadensersatzpflicht des Versicherers für entstandene Mehrkosten in Betracht.

Autor: Tobias Wessel, Dr. David Ulrich

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 12-2021

Literatur:

[1] VersR 1979, 853.

[2] Andere Ansicht wohl OLG Celle, 13.10.2016 – 8 U 21/16, BeckRS 2016, 111220 Rn. 134-136.

[3] Prölss/Martin/Armbrüster, Vorbemerkungen zu §§ 74 – 99 VVG Rn. 124.

[4] Prölss/Martin/Armbrüster vor § 88 VVG Rn. 29

[5] Statt vieler: Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, § 88 VVG Rn. 30.

[6] VersR 2008, 816.

[7] BGH NJW-RR 2006, 394

[8] VersR 1982, 482

[9] OLG Frankfurt, VersR 2018, 928, 929 mit einer Rechtsprechungsübersicht

[10] Langheid/Wandt/Fausten, 2. Aufl. 2016, § 14 VVG Rn. 68

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