Durchsetzung von Versicherungsansprüchen: Wer muss was wann beweisen?
Durchsetzung von Versicherungsansprüchen: Wer muss was wann beweisen?
Ein Schaden ist eingetreten – und nun? Nicht nur Privatpersonen, sondern auch mittelständische Unternehmen mit wenig Schadenerfahrung sind in dieser Situation häufig mit dem akuten Schadenmanagement und der gleichzeitigen Wahrung ihrer Ansprüche überfordert.
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Das gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, welche Tatsachen der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen muss, um seine Ansprüche gegen den Versicherer voll durchzusetzen.
1. Im Schaden fallen Theorie und Praxis auseinander
Für versicherungsrechtliche Streitigkeiten gelten die allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts. Das bedeutet, jede Partei hat grundsätzlich die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen.[1] Der Anspruchsteller trägt die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Beruft die Gegenseite sich auf rechtshindernde, rechtsvernichtende, oder rechtshemmende Tatsachen, muss sie diese beweisen.[2]
Außerdem gilt im Zivil- und damit auch im Versicherungsprozess der Beibringungsgrundsatz. Dies bedeutet, dass das Gericht grundsätzlich bei der Entscheidungsfindung nur die Tatsachen berücksichtigt, die die Parteien vorbringen. Soweit zu den zivilprozessualen Grundsätzen.
In der Praxis läuft es häufig anders. Kommt es in der Sachversicherung zum Schadenfall, sehen sich Versicherungsnehmer regelmäßig der Frage gegenüber, welche Tatsachen sie auf welche Weise darlegen und beweisen müssen. Darüber hinaus können durch pauschal eingeworfene Behauptungen der Versicherer Unsicherheiten im Hinblick auf vermeintliche Obliegenheitsverletzungen oder Risikoausschlüsse bestehen. Zwischen einem großen Schadenfall und einem gegebenenfalls notwendigen Deckungsprozess liegen häufig mehrere Jahre. Die Versicherungsnehmer sind regelmäßig geneigt, den Behauptungen ihres Versicherers vor dem Hintergrund einer möglichst zügigen Regulierung zu glauben. Ziehen Versicherungsnehmer zunächst keinen Rechtsanwalt zu Rate, akzeptieren sie im Rahmen der Regulierung gegebenenfalls pauschale Abzüge, selbst wenn der Versicherer das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung nicht beweisen kann bzw. im Rahmen eines Deckungsprozesses nicht beweisen könnte.
Fallbeispiel:
Der Versicherungsnehmer unterhält für sein Wohn- und Betriebsgebäude eine Feuerversicherung. Es kommt zum Brand. Die Gebäude auf dem Grundstück des Versicherungsnehmers werden durch das Feuer schwer beschädigt und teilweise zerstört. Die Brandursache bleibt ungeklärt.
Der Versicherer führt einen Ortstermin durch und behauptet, dass als Brandursache nur die Hobby-Werkstatt des Versicherungsnehmers in Frage käme. Der Versicherungsnehmer habe die elektrischen Anlagen nicht ordnungsgemäß warten lassen und deswegen vertragliche Obliegenheiten grob fahrlässig verletzt. Tatsächlich ließ der Versicherungsnehmer die elektrischen Anlagen erst wenige Monate vor dem Schadenfall überprüfen. Der Versicherer teilt dem Versicherungsnehmer mit, dass er beweisen müsse, dass die Elektronik in der Hobby-Werkstatt nicht die Brandursache war, wenn er keine Kürzungen der Versicherungsleistung hinnehmen wolle.
Der Versicherer unterbreitet sodann ein zeitnahes Regulierungsangebot und zieht wegen einer vermeintlichen grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung 25 % von der Versicherungsleistung ab. Für den Fall der Nichtannahme stellt der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine langwierige Regulierung in Aussicht. Der Versicherungsnehmer will schnell an sein Geld kommen und akzeptiert die zu Unrecht gekürzte Versicherungsleistung.
Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick darüber verschaffen, welche Tatsachen der Versicherungsnehmer im Schadenfall darlegen und beweisen muss, welche Beweiserleichterungen ihm gegebenenfalls zugutekommen können und welche Tatsachen der Versicherungsnehmer gerade nicht darlegen und beweisen muss.
2. Was muss der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen?
Macht der Versicherungsnehmer nach einem Schadenfall Versicherungsansprüche gegen den Versicherer geltend, muss er nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen die tatsächlichen Voraussetzungen für die Regelungen beweisen, aus denen er seinen Anspruch herleitet. Diese Grundsätze gelten sowohl für die außergerichtliche als auch für eine gegebenenfalls notwendige gerichtliche Geltendmachung der Versicherungsansprüche.
2.1 Umfang des vereinbarten Versicherungsschutzes
Dies betrifft zunächst das Bestehen der Versicherung bzw. des vereinbarten Versicherungsschutzes. Der Versicherungsnehmer muss also beweisen, dass ein Versicherungsvertrag mit dem Versicherer besteht, gegen den er Ansprüche geltend macht. Diesem Versicherungsvertrag muss auch der vom Versicherungsnehmer behauptete Vertragsinhalt zugrunde liegen. Für den Nachweis genügt grundsätzlich die Vorlage des Versicherungsscheins. Will der Versicherungsnehmer auf mündliche Abreden oder Ergänzungen im Rahmen des Vertragsschlusses Bezug nehmen, muss er seinen Antrag, das entsprechende Vertragsangebot oder gegebenenfalls das Beratungsprotokoll mit entsprechendem Inhalt vorlegen.[3]
Tipp: Alle Unterlagen zum Vertragsschluss sollte der Versicherungsnehmer unbedingt aufbewahren. Dazu gehören neben dem Versicherungsschein und den zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch der Antrag des Versicherungsnehmers, das Vertragsangebot des Versicherers, gegebenenfalls ausgehändigte Beratungsprotokolle oder mit dem zuständigen Versicherungsvermittler ausgetauschte Emails.
2.2 Eintritt des Versicherungsfalls
Im nächsten Schritt muss der Versicherungsnehmer den Eintritt eines Versicherungsfalles beweisen.
Hierzu gehören die Tatbestandsvoraussetzungen der sogenannten primären Risikobeschreibung. Der Versicherungsnehmer muss also darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass sich ein versichertes Risiko in versicherter Zeit am versicherten Ort realisiert hat.[4]
Das versicherte Risiko in der Sachversicherung realisiert sich grundsätzlich, wenn eine versicherte Sache durch eine versicherte Gefahr beschädigt oder zerstört wird. Der Versicherungsort und der Beginn des Versicherungsschutzes in zeitlicher Hinsicht folgen regelmäßig aus dem Versicherungsschein.
In unserem oben genannten Beispielsfall liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der primären Risikobeschreibung vor. Der Versicherungsfall ist eingetreten. Gemäß dem Versicherungsschein bestand seit dem Abschluss des Versicherungsvertrages (versicherte Zeit) Versicherungsschutz für das Grundstück des Versicherungsnehmers bzw. für die darauf befindlichen Gebäude (Versicherungsort). Nach den zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen gelten als versicherte Sachen die näher im Versicherungsschein bezeichneten Gebäude (versicherte Sachen). Das Feuer führte zu Brandschäden an den Gebäuden (versicherte Gefahr und Kausalität).
Für den Nachweis des Eintritts des Versicherungsfalles benötigt der Versicherungsnehmer in unserem Beispielsfall erneut die Angaben aus dem Versicherungsschein und den zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Brandschäden an Gebäuden sind augenscheinlich erkennbar und sollten fotografisch dokumentiert werden. Eigene Foto- oder Videoaufnahmen des Versicherungsnehmers schaden nicht. Protokolle der Feuerwehr und Polizei sollte der Versicherungsnehmer zur Sicherheit ebenfalls aufbewahren.
Je nach Art des Schadenfalls und der zugrundeliegenden Versicherung können noch weitere Tatbestandsmerkmale zur primären Risikobeschreibung gehören.
Tipp: Versicherungsnehmer sollten im Schadenfall einen Blick in die zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen werfen und sich die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles so gut wie möglich vor Augen führen. Bestreitet der Versicherer bereits den Eintritt des Versicherungsfalles, sind Versicherungsnehmer gut beraten, einen unabhängigen Schadenregulierer oder einen spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
2.3 Höhe der geltend gemachten Forderung
Darüber hinaus muss der Versicherungsnehmer auch die Höhe der geltend gemachten Forderung bzw. den Umfang seines Schadens darlegen und gegebenenfalls beweisen.
Gerade in der Gebäudeversicherung kommt dem Versicherungswert eine hohe Bedeutung zu. Denn der Versicherungswert kann je nach Ausgestaltung der Versicherung die Grundlage für die Entschädigungshöhe im Falle einer vollständigen Zerstörung des versicherten Gebäudes darstellen.
Tipp: Im Rahmen des Abschlusses des Versicherungsvertrages sollten Versicherungsnehmer bei der Bestimmung des Versicherungswertes die Augen offenhalten (Gefahr der Unterversicherung). Quadratmeterangaben bezüglich der versicherten Gebäude sollte der Versicherungsnehmer nach Möglichkeit überprüfen. Im Schadenfall sollte der Versicherungsnehmer alle anfallenden Angebote und Rechnungen aufbewahren.
3. Welche Beweiserleichterungen kommen dem Versicherungsnehmer zugute?
Nach allgemeinen Grundsätzen (§ 286 ZPO) muss der Versicherungsnehmer den sogenannten Vollbeweis erbringen. Das bedeutet, ein mit der Sache betrautes Gericht muss im Rahmen der freien Beweiswürdigung die volle Überzeugung erlangen, dass eine streitige Tatsachenbehauptung wahr ist. Der richterlichen Überzeugung muss also eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit zugrunde liegen.
Allerdings kann dem Versicherungsnehmer der Beweis des ersten Anscheins (sog. „Anscheinsbeweis“) zugutekommen. Der Anscheinsbeweis stellt eine Methode zur Beweiserleichterung im Zivilprozess dar.
Durch den Beweis des ersten Anscheins wird die einem Geschädigten grundsätzlich obliegende Beweisführung der Ursächlichkeit eines bestimmten Lebenssachverhaltes für den eingetretenen Schaden erleichtert.[5] Er greift bei typischen Geschehensabläufen ein, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist.[6] Im Weg des Anscheinsbeweises kann auch von einem bestimmten eingetretenen Erfolg auf die Ursache geschlossen werden. So kann der Anscheinsbeweis auch bei der Bestimmung einer Brandursache in Frage kommen.[7]
Angenommen auf dem Grundstück des Versicherungsnehmers in unserem Fallbeispiel steht auch eine Scheune. Der Versicherungsnehmer beobachtete Kinder, die in der Scheune mit einem dort aufgefundenen Feuerzeug hantierten. Er verliert die Kinder aus den Augen. Wenige Minuten später gerät die Scheune in Brand. Das Feuer greift auf die übrigen Gebäude über. Im Wege des Anscheinsbeweises kann auf das Hantieren mit dem Feuerzeug als Brandursache geschlossen werden, da ein typischer Geschehensablauf vorliegt.
4. Was muss der Versicherer darlegen und beweisen?
Entsprechend den oben dargelegten zivilprozessualen Grundsätzen trägt der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast für rechtshindernde, rechtsvernichtende und rechtshemmende Tatsachen.
4.1 Risikoausschlüsse
Der Versicherer trägt im Rahmen der sogenannten sekundären Risikobegrenzung zunächst die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes, auf den er sich beruft.
Es genügt dabei nicht, wenn der Versicherer das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes lediglich behauptet.
4.2 Verwirkungsregelungen – insbesondere vertragliche Obliegenheitsverletzungen
Beruft der Versicherer sich auf Verwirkungsregelungen wie beispielsweise eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung, Prämienverzug, Gefahrerhöhung oder eine Obliegenheitsverletzung und eine damit verbundene Kürzung der Versicherungsleistung, muss er zumindest deren objektiven Tatbestand beweisen. Für Anzeigepflicht- und Obliegenheitsverletzungen ist dieser Grundsatz im VVG normiert (§ 69 Abs. 3 S. 2 VVG).
Gerade im Bereich der vertraglichen Obliegenheitsverletzungen kann es im Schadenfall schnell zu Problemen für Versicherungsnehmer kommen, wenn die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast dem Versicherungsnehmer nicht bekannt sind.
Hervorzuheben ist: Bei vertraglichen Obliegenheiten obliegt es dem Versicherer, den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung zu beweisen – inklusive der Kausalität zwischen Obliegenheitsverletzung und Eintritt bzw. Feststellung des Versicherungsfalles.
Erst wenn Tatsachen, die die objektive Obliegenheitsverletzung begründen, unstreitig oder bewiesen feststehen, gilt die widerlegliche gesetzliche Vermutung für das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit zulasten des Versicherungsnehmers (§ 28 Abs. 2 S. 2 a.E. VVG).
Im oben genannten Fallbeispiel hat der Versicherer das Vorliegen einer vertraglichen Obliegenheitsverletzung lediglich behauptet: der Versicherungsnehmer habe die Elektronik nicht ordnungsgemäß warten lassen und damit vertraglich vereinbarte Sicherheitsvorschriften verletzt. Richtigerweise muss der Versicherer darlegen und beweisen, welche Sicherheitsvorschriften bzw. Obliegenheiten der Versicherungsnehmer auf welche Weise verletzt haben soll. Der Versicherer müsste (ggf. mit Hilfe des Versicherungsnehmers) prüfen, wann und durch wen die letzte Überprüfung der Elektronik stattfand und inwieweit der Versicherungsnehmer damit hinter seinen Pflichten aus dem Versicherungsvertrag zurückblieb. Hätte die letzte Wartung früher stattfinden müssen? Wenn ja, wann? Woraus folgt dieser Zeitraum? Hätte eine gebotene Wartung den Brand verhindert?
5. Verteidigungsmöglichkeiten des Versicherungsnehmers
Im nächsten Schritt kann der Versicherungsnehmer die gesetzliche Vermutung der groben Fahrlässigkeit widerlegen, indem er beweist, dass er trotz des objektiven Vorliegens einer Obliegenheitsverletzung in subjektiver Hinsicht nicht grob fahrlässig gehandelt hat.
Angenommen der Versicherer hätte im oben genannten Beispiel dargelegt und bewiesen, dass der Versicherungsnehmer objektiv eine vertragliche Obliegenheit verletzt hätte, weil die letzte Überprüfung der Elektronik nachweislich länger zurücklag als in den einschlägigen Sicherheitsvorschriften vorgesehen (9 Monate statt der vorgeschriebenen 6 Monate). In diesem Fall wird zulasten des Versicherungsnehmers der subjektive Tatbestand der groben Fahrlässigkeit gesetzlich vermutet. Diese Vermutung kann der Versicherungsnehmer widerlegen, indem er beweist, dass er nicht grob fahrlässig handelte – die im Verkehr erforderliche Sorgfalt also nicht in besonders schwerem Maße verletzte. Gegebenenfalls war dem Versicherungsnehmer bewusst, dass die elektrischen Anlagen überprüft werden mussten. Er vereinbarte rechtzeitig einen Termin mit einem Fachmann. Der Elektriker sagte den Termin kurzfristig ab. Ein neuer Termin konnte erst 3 Monate später stattfinden. Der Versicherungsnehmer kann entsprechende E-Mails zwischen ihm und dem Elektriker vorlegen. Dann bliebe der Versicherer zur vollen Leistung verpflichtet – ohne Kürzung.
Darüber hinaus steht dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit des sogenannten Kausalitätsgegenbeweises zur Verfügung (§ 28 Abs. 3 S. 1 VVG). Danach ist der Versicherer weiterhin zur (vollständigen) Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen kann, dass die objektiv und gegebenenfalls subjektiv verwirklichte Obliegenheitsverletzung weder ursächlich war für den Eintritt des Versicherungsfalles noch für die Feststellung und Umfang der Leistungspflicht des Versicherers.
Angenommen der Versicherer kann das objektive Vorliegen der Obliegenheitsverletzung beweisen und der Versicherungsnehmer kann sich auch nicht entlasten. Der Versicherungsnehmer vergaß schlichtweg die Elektronik in seiner Hobbywerkstatt überprüfen zu lassen. Der Versicherungsnehmer kann aber beweisen, dass die nicht überprüfte Elektronik nicht die Brandursache war. Laut den Untersuchungsergebnissen der Feuerwehr und Polizei, fing die Werkstatt erst zu einem späteren Zeitpunkt Feuer. Die Brandursache konnte nicht in der Werkstatt liegen. In diesem Fall kann der Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis führen. Der Versicherer bliebe gemäß § 28 Abs. 3 S. 1 VVG zur vollen Leistung verpflichtet.
6. Darlegungs- und Beweislast können auseinanderfallen
Im Versicherungsprozess kann auch der prozessuale Grundsatz der sekundären Darlegungs- und Beweislast große Bedeutung gewinnen.
Wenn eine Partei Tatsachen beweisen muss, die sich außerhalb des eigenen Wahrnehmungsbereiches und in der Sphäre des Gegners abspielen, kann die beweispflichtige Partei den Beweis kaum führen.
In diesem Fall muss die Gegenpartei – soweit möglich und zumutbar – die aus ihrer Sphäre stammenden Tatsachen substantiiert (also möglichst detailliert) darlegen und einer Nachprüfung zugänglich machen.[8]
Im Beispielfall muss der Versicherer den objektiven Tatbestand der vertraglichen Obliegenheitsverletzung beweisen. Der Versicherer kann aber kaum wissen, wann wie und von wem der Versicherungsnehmer seine elektrischen Anlagen überprüfen lässt. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast muss der Versicherungsnehmer den Geschehensablauf darlegen – hier möglicherweise durch Benennung des engagierten Elektrikers, Vorlage der Wartungsprotokolle oder ausgetauschter E-Mails. Trotzdem muss der Versicherer anhand der neu gewonnenen Informationen aus der Sphäre des Versicherungsnehmers beweisen, dass die Überprüfung der Elektronik zu spät oder unsachgemäß stattfand.
7. Fazit
Im fiktiven Ausgangsbeispiel hat der Sachversicherer die grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung lediglich behauptet. Der Versicherungsnehmer konnte darlegen, wann er die elektrischen Anlagen zuletzt überprüfen ließ, und genügte damit seiner sekundären Darlegungslast. Der Versicherer wäre nicht in der Lage gewesen, die Verletzung von einschlägigen Sicherheitsvorschriften durch den Versicherungsnehmer zu beweisen. Fälschlicherweise teilte der Versicherer dem Versicherungsnehmer mit, dass er einen Kausalitätsgegenbeweis führen müsse, um Abzüge zu vermeiden. Für den Versicherungsnehmer im Beispiel genügte allein diese Verunsicherung, um das zu niedrig bemessene Regulierungsangebot des Sachversicherers anzunehmen.
So liegt der Fall auch häufig in der Praxis. Versicherungsnehmer sollten sich daher vor Augen führen, welche Grundvoraussetzungen des Versicherungsanspruchs sie beweisen müssen (und welche nicht) und ein sorgfältiges Dokumentenmanagement betreiben. Aussagen des Versicherers und auch Aussagen von Gutachtern, Beauftragten und sonstigen Dienstleistern des Versicherers im Rahmen der Regulierung sollten sie kritisch hinterfragen. Im Zweifel ist ein unabhängiger Schadenregulierer oder ein spezialisierter Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
Autor: Jem Schyma
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis 05-2023, S. 28 ff.
Literatur und Rechtsprechung:
[1] BGH VersR 2002, 1089
[2] BGH r+s 2003, 53
[3] BGH VersR 2002, 1089
[4] v. Rintelen in Beckmann/ Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 23 Rn. 81
[5] BGH NZM 2018, 924
[6] BGH NJW-RR 2014, 1115
[7] BGH NJW 2010, 1072
[8] BGH NJW 1999, 1404 m.w.N.
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