Neuwertspitze: Vorsicht vor nicht rechtzeitiger Wiederherstellung

In der Gebäudeversicherung richtet sich die Höhe der Versicherungsleistung im Schadenfall grundsätzlich danach, ob der Versicherer den Ersatz nur des Zeitwerts oder auch den Ersatz des Neuwerts vertraglich zugesichert hat. Regelmäßig sehen die Versicherungsbedingungen vor, dass der (höhere) Neuwert nur dann ersetzt wird, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb von drei Jahren nach dem Schadensereignis die Wiederherstellung „gesichert“ hat. 

Der Versicherer ersetzt den Neuwert also nur dann, wenn der Versicherungsnehmer das zerstörte Gebäude fristgerecht auch tatsächlich wiedererrichtet bzw. die Wiedererrichtung sicherstellt. Es handelt sich hierbei um die sog. „Frist zur Sicherung der Wiederherstellung“, die in den Versicherungsbedingungen in Form sog. „(einfachen oder strengen) Wiederherstellungsklauseln“ regelmäßig vereinbart wird.

In der Praxis stellen sich für den Versicherungsnehmer zwei zentrale Fragen. Erstens: Was wird von dem Versicherungsnehmer verlangt, damit eine „Sicherstellung der Wiederherstellung“ im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliegt? Zweitens: Besteht die Möglichkeit, die Frist zur Sicherung der Wiederherstellung (regelmäßig drei Jahre) in irgendeiner Weise zu verlängern oder ihren Ablauf zu hemmen? Das ist insbesondere dann relevant, wenn dem Versicherungsnehmer eine Entscheidung über die Vornahme der Wiederherstellung innerhalb der Frist nicht möglich ist. 

1. Ausgangspunkt

In den Versicherungsbedingungen ist regelmäßig die vom Versicherer zu leistende Entschädigung der Höhe nach vereinbart. So heißt es in den Musterbedingungen der Feuerversicherung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV“) in § 8 Ziffer 1:

„Der Versicherer ersetzt bei zerstörten oder infolge eines Versicherungsfalles abhanden gekommenen Sachen den Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles“. (GDV 0100, Version 01.04.2014)

Die Höhe der Versicherungsleistung knüpft also an den Versicherungswert an.

Der Versicherungswert beschreibt den tatsächlichen Wert der versicherten Sache. Der Teufel liegt wie stets im Detail: Versicherer und Versicherungsnehmer haben naturgemäß unterschiedliche Auffassungen darüber, wie denn der tatsächliche Wert letztlich zu ermitteln ist.

Die grundsätzliche Weichenstellung erfolgt bereits bei der Frage, ob denn der „tatsächliche Wert“ nur durch den Zeitwert oder auch durch den Neuwert abgebildet wird. 

Dabei ist der Neuwert derjenige Wert, den der Versicherungsnehmer aktuell zur Wiederbeschaffung der zerstörten Sache aufzuwenden hat. Der Zeitwert hingegen ist niedriger, da zu seiner Ermittlung von dem Neuwert der Minderwert abzuziehen ist, der sich aus der in der Vergangenheit erfolgten Abnutzung ergibt.

Das Gesetz bestimmt den Versicherungswert in § 88 VVG grundsätzlich anhand des Zeitwerts.

Gleichwohl versprechen Versicherer regelmäßig in ihren Versicherungsbedingungen einen Ersatz des Neuwerts. Dies ist möglich, weil § 88 VVG kein zwingendes Recht darstellt, die Versicherer und Versicherungsnehmer also individualvertraglich von der gesetzlichen Definition des Versicherungswerts mit einer eigenen Definition abweichen können.

Hiervon machen die Versicherer regelmäßig Gebrauch und definieren den Versicherungswert grundsätzlich als den Neuwert. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass sich hierbei durchaus Variationen von dem Neuwert-Begriff in den verschiedenen Versicherungsbedingungen finden lassen (z. B. der sog. „gleitende Neuwert“).

In den GDV-Musterbedingungen heißt es auch demenentsprechend:

„Der Versicherungswert von Gebäuden ist der Neuwert. Neuwert ist der Betrag, der aufzuwenden ist, um Sachen gleicher Art und Güte in neuwertigem Zustand herzustellen. Maßgebend ist der ortsübliche Neubauwert einschließlich Architektengebühren sowie sonstige Konstruktions- und Planungskosten.“

2. Wiederherstellungsklausel in der Gebäudeversicherung

Allerdings enthalten die Versicherungsverträge regelmäßig einen Schutzmechanismus zugunsten des Versicherers, und zwar die eingangs vorgestellte „Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung“.

Die Versicherungsbedingungen sehen vor, dass der Versicherungsnehmer zunächst nur den (niedrigeren) Zeitwert verlangen kann. Die Differenz zum Neuwert (auch als „Neuwertspitze“ bezeichnet) erhält der Versicherungsnehmer nur, wenn er das Gebäude auch tatsächlich wiederherstellt.

So heißt es in den GDV-Musterbedingungen hinsichtlich der Wiederherstellung von Gebäuden:

„Ist die Entschädigung zum Neuwert vereinbart, erwirbt der Versicherungsnehmer auf den Teil der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil), einen Anspruch nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird Gebäude in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen.“

Bei der hier zitierten Klausel handelt es sich um eine sog. „strenge Wiederherstellungsklausel“, die in der Praxis weit verbreitet ist. Der Versicherungsnehmer erwirbt den Anspruch auf die Neuwertspitze erst dann, wenn er die Sicherung der Wiederherstellung gesichert hat. Solange die Wiederherstellung nicht gesichert ist, ist der Versicherer nicht zum Ersatz der Neuwertspitze verpflichtet. Dies hat zur Folge, dass ein Gericht daran gehindert ist, im Wege eines Grundurteils (ein Urteil, in dem nicht über die Höhe des Versicherungsanspruchs, sondern erst einmal nur über die generelle Einstandspflicht des Versicherers entschieden wird) die Einstandspflicht des Versicherers für die Neuwertspitze auszusprechen. Denn die Einstandspflicht besteht erst dann, wenn der Versicherungsnehmer die Wiederherstellung sichergestellt hat.

Die Wiederherstellungsklausel soll sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer durch den Versicherungsfall keine Vermögensvorteile erhält, die seinen Schaden überkompensieren. Denn hierdurch könnte der Versicherungsnehmer in Versuchung geraten, den Versicherungsfall vorsätzlich herbeizuführen.

3. Keine Hemmung der Frist kraft Gesetzes

Nicht selten kommt es jedoch vor, dass die Regulierung eines Brandschadens mehrere Jahre andauert. Insbesondere kann die Durchführung eines Sachverständigenverfahren, zu welchem Versicherer und Versicherungsnehmer sich gemeinsam entschlossen, den Regulierungsprozess erheblich in die Länge ziehen. Es kann dann sogar vorkommen, dass selbst drei Jahre nach Schadensereignis eine abschließende Regulierungsentscheidung des Versicherers noch aussteht.

Dies stellt ein ernstes Dilemma für den Versicherungsnehmer dar. Der Wiederaufbau eines zerstören Gebäudes ist mit erheblichem Investitionsaufwand verbunden. Dabei scheut der Versicherungsnehmer die Tätigung solch großer Investitionen zumindest solange, bis Klarheit über die zu erwartenden Entschädigungszahlungen seitens des Versicherers besteht. Hat der Versicherungsnehmer keine Klarheit über die finanzielle Lage, möchte er die Wiederherstellung eines vollständigen Gebäudes in aller Regel noch nicht zahlungspflichtig in Auftrag geben. Im Extremfall kann der Versicherungsnehmer die Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung dann aber nicht einhalten. In der Folge droht der Verlust auf den Anspruch gegen den Versicherer auf Zahlung (auch) der Neuwertspitze.

Es stellt sich daher die Frage, wie sich der Versicherungsnehmer in einer solchen Situation verhalten soll. 

Die einfachste Lösung wäre darin gefunden, wenn die Frist zur Sicherung der Wiederherstellung verlängert oder ihr Ablauf gehemmt werden könnte. 

Die Hemmung des Ablaufs von Fristen sieht das Recht bei Verjährungsfristen vor. Grundsätzlich unterliegen Ansprüche auf Versicherungsleistung der gesetzlichen Verjährung. Diese beträgt drei Jahre und betrifft den Anspruch auf Versicherungsleistung an sich. Bei der „Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung“ handelt es sich hingegen nicht um den Versicherungsanspruch an sich, sondern um eine innervertragliche Ausschlussfrist, auf die die Regeln der Verjährung grundsätzlich schon nicht anwendbar sind. Dies bedeutet, dass auch das Regelungsregime zur Hemmung des Ablaufs einer Verjährungsfrist – etwa durch Verhandlungen der Parteien – auf die Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung ebenfalls keine Anwendung findet.

Der Versicherungsnehmer befindet sich daher in einer sehr unbefriedigenden Situation. Die Rechtsprechung hat diese bislang auch noch nicht zufriedenstellend aufgelöst. Dabei wäre es beispielsweise denkbar, auf die Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung ausnahmsweise auch die Regelungen zur Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist anzuwenden. Derartige „entsprechende“ oder „analoge“ Anwendungen von einzelnen Paragrafen auf andere, gleichwertige Interessenlagen sind der Rechtswissenschaft nicht fremd. Allerdings hat diesen Schritt bislang noch kein obergerichtlicher Spruchkörper ausdrücklich vollzogen.

Bislang ist nur anerkannt, dass der Versicherer sich dann nicht auf den Ablauf der Frist zur Sicherung der Wiederherstellung berufen kann, wenn der Versicherungsnehmer durch ein Verhalten des Versicherers an der Fristwahrung gehindert wurde. Das Berufen auf den Fristablauf durch den Versicherer stellt dann eine treuwidrige und daher unzulässige Rechtsausübung dar (OLG Hamm, Az. 20 U 123/88; OLG Bremen, Az.: 3 U 62/01). In diesen Konstellationen ist anerkannt, dass die Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung sich um einen angemessenen Zeitraum verlängert. Ein treuwidriges Hindern durch den Versicherer kann dabei ausdrücklich in einer ungerechtfertigten Leistungsverweigerung durch den Versicherer liegen.

4. Fristverlängerung durch den Versicherer

Für den Versicherungsnehmer stellt die reine Möglichkeit, sich in einem Rechtsstreit auf ein treuwidriges Verhalten des Versicherers zu berufen, allerdings kein zufriedenstellender Ausweg dar. Zu hoch sind letztlich die rechtlichen Risiken, dass der Einwand des treuwidrigen Verhaltens des Versicherers das Gericht auch überzeugt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Einwand nur dann Erfolg verspricht, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherer überhaupt konkret die Verschleppung der Regulierung nachweisen kann. Denn die bloße Behauptung einer verschleppten Regulierung wird ein Gericht nicht dazu veranlassen, ein treuwidriges Verhalten des Versicherers auszusprechen.

Einen alternativen Ausweg bietet die Verlängerung der Frist zur Wiederherstellung durch den Versicherer. Hierbei muss der Versicherungsnehmer auf die Kooperationsbereitschaft seines Vertragspartners hoffen. Der Versicherer kann individualvertraglich die Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung verlängern. Üblicherweise geschieht dies um sechs oder zwölf Monate, und wird so lange verlängert, bis der Versicherer eine abschließende Regulierungsentscheidung getroffen hat.

5. Feststellungsklage durch den Versicherungsnehmer

Ist die Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung noch nicht abgelaufen und kommt eine Sicherstellung derzeit noch nicht in Betracht, besteht die Möglichkeit, die Neuwertspitze im Wege einer Feststellungsklage einzuklagen. Das Gericht stellt bei Erfolg der Klage fest, dass der Versicherer zum Ersatz der Neuwertspitze grundsätzlich verpflichtet ist. Der Versicherungsnehmer kann die Auszahlung des Betrags dann verlangen, wenn er die Sicherstellung – fristgerecht – vorgenommen hat.

6. Best Practice: Tatsächliche Sicherstellung der Wiederherstellung

Weigert der Versicherer sich, die begehrte Fristverlängerung zu gewähren, bietet tatsächlich nur die tatsächliche Sicherstellung der Wiederherstellung ausreichende Sicherheit für den Versicherungsnehmer, um seine Rechtspositionen zu wahren. 

Was im Einzelnen die Wiederherstellung „sicherstellt“, ist in den Versicherungsbedingungen nicht definiert, ebenso wenig im Gesetz. Grundsätzlich wird das Vorliegen der „Sicherstellung“ anhand einer Prognose in dem Sinne, dass bei vorausschauender wertender Betrachtungsweise eine bestimmungsgemäße Verwendung hinreichend sicher angenommen werden kann. Die Rechtsprechung fordert hierzu Vorkehrungen, die keine vernünftigen Zweifel an der Wiederherstellung aufkommen lassen, auch wenn sie keine restlose Sicherheit garantieren. Dabei hat die Rechtsprechung hat einige Fallgruppe herausgearbeitet, wonach von einer Sicherstellung auszugehen ist. Hierzu zählt u. a. der Abschluss eines Bauvertrages mit einem leistungsfähigen Unternehmen ohne Rücktrittsvorbehalt. Hingegen genügt der Abschluss eines Bauvertrags mit enthaltenem Rücktrittsvorbehalt ausdrücklich nicht den Anforderungen an eine Sicherstellung der Wiederherstellung. Bauvorbereitende Maßnahmen wie das Vorliegen eines bloßen Vertragsangebots eines Bauunternehmers, die Vorlage einer detaillierten Bauplanung oder auch die Vorlage eines Baugenehmigungsantrags oder auch der Baugenehmigung selbst genügen den Anforderungen an eine Sicherstellung ebenfalls nicht.

7. Zusammenfassung

Strenge Widerherstellungsklauseln in Verbindung mit lang andauernden Regulierungsvorgängen stellen für den Versicherungsnehmer im Schadenfall ein ernstes Problem dar. Die Möglichkeit einer rechtssichernden Hemmung der Frist zur Sicherung der Wiederherstellung besteht ohne wohlwollendes Mitwirken des Versicherers nicht. Nur wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherer die Verschleppung der Regulierung nachweisen kann, besteht einigermaßen Gewissheit, dass der Versicherer den Ablauf der Frist vor tatsächlich erfolgter Sicherstellung der Wiederherstellung nicht gegen den Versicherungsnehmer erfolgreich einwenden kann. 

Der Versicherungsnehmer ist daher gut beraten, wenn er entweder eine Fristverlängerung seines Versicherers rechtzeitig einholt, oder wenn er die Wiederherstellung tatsächlich sicherstellt. Dabei sollte der Versicherungsnehmer Rat spezialisierter Versicherungsanwältinnen und -anwälte einholen, um Klarheit über die Anforderungen an die konkret zu ergreifenden Maßnahmen zu erhalten.

Autor: Malte Krohn

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Die VersicherungsPraxis Ausgabe 07-2021

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